Die Dämonisierung Stalins – Propagandalügen und ihre Träger
In der „Roten Fahne“ wurden vor kurzem die antikommunistischen Lügen über die Hungersnot in der Ukraine 1932/33 widerlegt („‚Holodomor‘ – das Märchen vom ‚Völkermord Stalins‘“, „Rote Fahne“ 11/2014). Von den Nazis unmittelbar nach ihrer Machtergreifung aufgebracht, diente diese Gräuelpropaganda 1933 der „Legitimation“ ihres brutalen Vorgehens gegen alle kommunistischen und fortschrittlichen Kräfte, die in der Sowjetunion ihr Vorbild sahen.
Der sowjetische Historiker Maximytschew schrieb dazu: „Die von Goebbels geleitete antisowjetische Propagandakampagne hinsichtlich der ‚Hungersnot‘ in der Sowjetunion erreichte ein bis dahin nie gekanntes Ausmaß … Berichten der sowjetischen Bevollmächtigten Vertretung … zufolge wurde die ‚Hungerkampagne‘ unter Einsatz aller Mittel geführt, so Veröffentlichung lügenhafter Artikel und gefälschter Aufnahmen in Zeitungen und Zeitschriften, Herausgabe von Sonderbüchern und -broschüren, Rundfunksendungen, Ankleben entsprechender Plakate auf Bahnhöfen und Plätzen, Vorführung von ‚Dokumentarfilmen‘ mit ‚Bildern des Hungers‘ in den Kinos, Veranstaltung von Ausstellungen, Versammlungen und Kundgebungen, Appelle an die Gläubigen bei Kirchenpredigten usw. Die Bevollmächtigte Vertretung wies ferner auf die offensichtliche Beteiligung von Mitarbeitern der deutschen Botschaft in Moskau an diesem provokatorischen Unterfangen hin.“1 Im Kalten Krieg wurde die Goebbels-Propaganda von amerikanischer Seite wieder aufgewärmt und mit Hilfe konterrevolutionärer ukrainischer Emigranten durch den Stalin-Biographen Robert Conquest „aufgearbeitet“. Im Jahr 2007 folgten schließlich 25 Staaten – allen voran die USA – dem Antrag der reaktionären Regierung der Ukraine an die UNO, die Vorgänge von 1933 als „Völkermord“ zu bezeichnen (siehe: „Hungersnot in der Ukraine vor 75 Jahren – ,Völkermord Stalins‘?“, „Rote Fahne“ 46/2007)
Viele der Vorwürfe, die heute der Dämonisierung Stalins dienen sollen, haben ihren Ursprung in den 1930er Jahren. Das ist nicht zufällig, denn unter seiner Führung ging damals die Sowjetunion zum planmäßigen Aufbau des Sozialismus über, während die kapitalistische Welt von der verheerenden Weltwirtschaftskrise, die 1929 in den USA ausbrach, geschüttelt wurde. Zwei Beispiele zeigen, wer die Urheber waren und wie sie immer noch wirksam sind.
„Jugendfreund“ als Kronzeuge gegen Stalin
1932 gab der im Berliner Exil lebende Dr. Joseph Iremaschwili mit Hilfe der SPD-Führung seine Broschüre „Stalin und die Tragödie Georgiens“ heraus. Der Autor ist bis heute der am häufigsten zitierte Zeuge für Stalins frühe politische Tätigkeit. 1898 war er gemeinsam mit ihm Mitglied der ersten sozialistischen Gruppe, die sich in Georgien bildete. Im Gegensatz zu Stalin entwickelte er sich jedoch zum Opportunisten und schloss sich bei der Spaltung der russischen Sozialdemokratie in Revolutionäre und Reformisten im Jahr 1903 den Menschewiki an. Stalin zählte zu den von Lenin geführten Bolschewiki. Die aktive Rolle Stalins in der Revolution von 1905 war für Iremaschwili ein „Verbrechen“ und noch stärker erboste ihn der bewaffnete Partisanenkrieg, der 1906 bis 1907 von den Arbeitern organisiert wurde.
Lenin schrieb damals: „Die Erscheinung, die uns hier interessiert, ist der bewaffnete Kampf. Er wird von einzelnen Personen und kleinen Gruppen geführt. Teils gehören sie revolutionären Organisationen an, teils (in manchen Gegenden Rußlands zum größten Teil) gehören sie keiner revolutionären Organisation an. Der bewaffnete Kampf verfolgt zwei verschiedene Ziele, die man streng auseinanderhalten muss: Dieser Kampf hat erstens die Tötung von einzelnen Personen, Vorgesetzten und Subalternen im Polizei- und Heeresdienst, zweitens die Beschlagnahme von Geldmitteln sowohl bei der Regierung als auch bei Privatpersonen zum Ziel. Die beschlagnahmten Mittel fließen teils der Partei zu, teils werden sie speziell zur Bewaffnung und zur Vorbereitung des Aufstands, teils für den Unterhalt der Personen verwandt, die den von uns geschilderten Kampf führen … Es ist unzweifelhaft, dass der ‚Partisanen‘kampf … mit der Verschärfung nicht nur der ökonomischen, sondern auch der politischen Krise im Zusammenhang steht. Der alte russische Terrorismus war eine Sache von Verschwörern aus der Intelligenz; jetzt wird der Partisanenkampf in der Regel von Arbeitern aus den Kampfgruppen oder einfach von erwerbslosen Arbeitern geführt. Auf den Gedanken, dies wäre Blanquismus und Anarchismus, verfallen leicht Leute, die zur Schablonenhaftigkeit neigen; in der Situation des Aufstands … sind solche auswendig gelernten Schlagworte jedoch ganz augenscheinlich nicht zu gebrauchen.“2
Zu gebrauchen waren sie allerdings für die Antikommunisten. Vor allem da in Deutschland und anderen Ländern die proletarische Revolution drohte. Um das Bemühen gegen eine Revolutionierung der Arbeiter zu stützen und die KPD Ernst Thälmanns zu diskreditieren, hieß es bei Iremaschwili: „Ich kenne Stalins Lebenslauf und seine Charaktereigenschaften mehr als jeder andere und durfte es daher wagen, sein Bild wahrheitsgetreu allen denen vor Augen zu halten, die zu Stalin aufblicken, als wäre er ein Gott, ein Menschheitsbefreier und Wegweiser zum Glück. Nichts von alledem ist Stalin; aber ein gewalttätiger Despot … Das Programm des grausamen, mittelalterlichen Terrors der Expropriation und des bewaffneten Aufstandes war ganz und gar nicht nach dem Sinn der friedliebenden Bevölkerung … Koba (Spitzname von Stalin – RF) war auch der Anstifter der von den Bolschewisten in Georgien verübten Verbrechen …“3
Nach der Revolution von 1905 tobte ein harter Klassenkampf gegen eine äußerst brutal agierende zaristische Konterrevolution. Mit Gewalttätigkeit, Despotismus und Verbrechen hatten die Aktionen der Bolschewiki aber nichts zu tun. Sie führten einen Kampf gegen den zaristischen Despotismus, seine Verbrechen und seine Gewalttätigkeit.
Zu den heutigen Abschreibern bei Iremaschwili gehört auch der von Angela Merkel empfohlene britische Historiker Simon Sebag Montefiore. In seinem 2007 erschienenen Weltbeststeller „Der junge Stalin“ präsentierte er Iremaschwili als Gewährsmann und reproduziert dessen Behauptungen über Stalins „Kultur der Gewalttätigkeit“, den „bolschewistischen Gangsterboss“ und „fanatischen marxistischen Massenmörder“.4
Ein neuer Dschingis-Khan
Ein weiterer Stalinhasser machte in den 1930er Jahren Furore: Essad Bey (Lew Nussimboum), Sohn eines georgischen Erdölkapitalisten jüdischer Herkunft. Er verfasste 1931 die erste deutschsprachige Stalin-Biographie. 1922 mit seinem Vater vor der Revolution geflohen, trat er in Deutschland zum Islam über und wurde Mitglied der faschistisch dominierten „Deutsch-russischen Liga gegen Bolschewismus“. Wie bezeugt wurde, las Hitler Beys Stalin-Biographie mehrfach und seine Wortwahl – etwa bei der Rede gegen den Bolschewismus im Düsseldorfer Industrieclub, die seine Einsetzung als Reichskanzler zur Folge hatte – bestätigt das. So formulierte Bey: „Mit derselben brutalen Entschlossenheit, mit der Stalin im Kaukasus Züge und Banken plünderte, regiert er heute die ganze Sowjetunion. Gerade dieser kaltblütige Fanatismus, der jede Tat von ihm auszeichnet, diese ins Blut übergegangene, beruflich revolutionäre gegen alles Andersartige unempfindliche gewaltige seelische Kraft ist es, die Lenin an ihm stets bewunderte … Sein Ziel ist … das alte Ziel Dschingis-Khans, er will die Welt erobern und die Menschheit gewaltsam ins Glück treiben.“5 Hitler räsonierte laut seinem Berater und Reichsminister Albert Speer: „Vergessen Sie nicht: Stalin ist der aus den Tiefen der Geschichte zurückgekehrte Dschingis-Khan!“6
Heute wird Essad Bey von Autoren wie Montefiore als Hauptquelle bemüht. Professor Wilfried Fuhrmann von der Universität Potsdam beschäftigte sich 2007 kritisch mit ihm und bewertete seine Stalin-Biographie unter aktuellen politischen Gesichtspunkten: „Stalin und der Stalinismus bedeutete eine Abkehr Russlands vom Westen und Europa, die dort als Bedrohung und … Gefahr verstanden wurden … Der Anspruch dieser asiatisch-orientalischen Lebensweise und Gesellschaftsordnung kommt bereits mit Dschingis-Khan, dem Begründer des geopolitisch größten Reiches aller Zeiten auf Erden zum Ausdruck …“.7
Wenn man sich fragt, warum von den bürgerlichen Medien immer wieder Stalin in die aktuelle Diskussion gebracht wird, geben Fuhrmanns geopolitische Ausführungen einen Hinweis: „Mit dem weltweit steigenden Energie- und Rohstoffbedarf sowie dem Auftauen des permanent gefrorenen Bodens in Sibirien infolge der Klimaveränderung wachsen die ökonomische Bedeutung und das politische Gewicht des asiatischen Teiles in der Politik Russlands.“7
Das ist der schlimmste Alptraum aller Imperialisten, dass der Sozialismus neu entsteht und die Verfügungsgewalt über diese Rohstoffe der kapitalistischen Ausbeutung entreißt. Um dagegen Stimmung zu machen, wird ein antikommunistisches und auch rassistisches Horrorbild von Asien über Dschingis-Khan bis Stalin skizziert.
Quellen:
1 Maximytschew, Igor F. – „Der Anfang vom Ende. Deutsch-sowjetische Beziehungen 1933–1939“, Köln 1985
2 Lenin, W. I. – Der Partisanenkrieg, Werke, Bd. 11, Berlin 1974
3 Iremaschwili, Joseph Stalin und die Tragödie Georgiens
4 Montefiore, Simon Sebag – Der junge Stalin, Frankfurt am Main 2007
5 Bey, Essad – Stalin. Eine Biographie, Gustav Kiepenheuer Verlag, Berlin 1932
6 Speer, Albert – Spandauer Tagebücher, Frankfurt am Main 1978
7 Fuhrmann, Wilfried – Eurasien – Stalin vs. Europa?, www.essadbey.de