Ukraine: Tauziehen von EU und Russland um Macht und Einfluss

Seit einigen Wochen finden in Kiew und weiteren Städten Demonstrationen und Kundgebungen statt, an denen sich zeitweise einige zehn- bis hunderttausend Menschen beteiligten. Am 3. Dezember wurde im Parlament versucht, mit einem Misstrauensvotum Neuwahlen zu erreichen, was scheiterte. Tausende halten weiter an Protesten und der Forderung nach Neuwahlen fest. Es gibt eine wachsende Unzufriedenheit unter den Massen mit der reaktionären Janukowitsch-Regierung. Gleichzeitig herrscht ein allgemeiner Unmut gegen die gesamte Riege bürgerlicher Politiker. Kein Wunder also, dass auf Oppositionsseite vor allem Boxer, Schauspieler und Ähnliches als Galionsfiguren präsentiert werden. Es handelt sich bei den Aktionen jedoch nicht in erster Linie um berechtigten und spontanen Widerstand der Massen gegen die reaktionäre und zutiefst korrupte pro-russische Regierung Janukowitsch. Tatsächlich erlebt die Ukraine hauptsächlich eine Kampagne der westlichen Imperialisten und mit ihnen in der Ukraine verbundenen Kräfte zur Installierung einer prowestlichen Regierung. Die Regierung geht teilweise brutal gegen die Proteste vor.

Die Vertreter des ICOR-Mitgliedes „Koordinierungsrat der Arbeiterbewegung der Ukraine“ (KSRD) weisen im Gespräch mit der „Roten Fahne“ auf bewusste Desinformation der Massenmedien hin:

In Wirklichkeit ist die Zahl der Teilnehmer an den Protesten nicht so groß, wie sie in den Medien gezeigt wird. Es ist nicht das erste Mal, dass Veranstaltungen als sehr groß dargestellt werden, während sie aber, was die Zahl der Menschen angeht, viel kleiner sind. … Die Proteste wurden anfangs vor allem von Studenten verschiedener Hochschulen, auf denen vor allem Studenten aus reichen Familien studieren, getragen. In Kiew gibt es Demons­trationen nur in zwei kleinen Stadtvierteln des Zentrums von Kiew, wo die Verwaltungs- und Regierungsgebäude stehen. … Die Kiewer nehmen nur zu einem kleinen Teil an diesen Aktionen teil. Die Masse der Teilnehmer sind bezahlte Demonstranten, die aus der Westukraine geholt werden.“

Begonnen hatte es mit der Erklärung der Regierung von Viktor Janukowitsch (Partei der Regionen), dass sie das Asso­ziie­rungsabkommen mit der EU nicht unterschreiben werde.

Der EU geht es unter anderem um die Ausweitung ihres Marktes – die Ukraine hat eine Bevölkerung von rund 46 Mil­lio­nen Einwohnern und verfügt über reiche Bodenschätze, Landwirtschaft und Industrie. Mit der Anbindung der Ukraine an die EU soll auch eine verstärkte militärische Zusam­menarbeit im Rahmen der sogenannten „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP) erfolgen. Mit der beabsichtigten Ausweitung des Machtbereichs der EU würde dieser im Südwesten bis an Russlands Grenzen heranreichen.

Janukowitsch ist zwar kein grundsätzlicher Gegner einer stärkeren Zusammenarbeit der Ukraine mit der EU und der USA. Er steht aber vor allem für die weitere Vormachtstellung des russischen Imperialismus gegenüber der Ukraine. Der ukrainische Außenhandel findet bisher vor allem mit Russland statt. Putin erpresst das Land damit, Öl und Gas zu verteuern und Zölle auf ukrainische Ausfuhrgüter zu erheben, wenn die Ukraine das Asso­ziie­rungsabkommen mit der EU unterzeichnet.

Janukowitsch ist ein Vertreter des ukrainischen Industriekapitals“, erklärt der Vertreter des KSRD. „Die Interessen dieses Kapitals liegen derzeit nicht in der EU. Die offenen Grenzen mit der EU würden die Bedingungen für das ukrainische Kapital verschlechtern. So forderten IWF und EU schon direkt eine Reihe von sogenannten ,Reformen‘ wie in Bulgarien und Rumänien. Sie wollen die Ukraine zu sozialen Einschnitten, Senkung der Renten, zu Privatisierungen verpflichten; das ist eine Einschränkung des ukrainischen Binnenmarktes und verschärft die Klassengegensätze.“

Weitgehend gescheitert sind Aufrufe der bürgerlichen Opposition vom 1. Dezember zu einem Generalstreik. Betriebe und Verwaltungen standen zwar in einzelnen Landesteilen still, aber nur dort, wo die bürgerliche Opposition die regionalen Behörden regiert.

Die Arbeiterklasse beteiligt sich großteils weder an den Aktionen der Pro-EU-Kräfte noch an denen, die für den Einschluss Russlands eintreten.

Die bürgerliche Opposition in der Ukraine wird gezielt auch von Deutschland aus unterstützt und aufgebaut. So wurde die Partei Udar (Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen) des in der Ukraine und Deutschland populären Schwergewichtsboxers Vitalij Klitschko in direkter Zusam­menarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU im Jahr 2010 gegründet. Bis heute wird sie massiv gesponsert. Eine direkte Zusammenarbeit erfolgt mit dem deutschen Bundeskanzleramt und dem Außenministerium, dessen Vertreter sich regelmäßig mit Klitschko treffen, der als nächster Präsidentschaftskandidat aufgebaut wird. Demagogisch wird auch die Freilassung von Julja Timoschenko von der Vaterlandspartei gefordert, die vor allem durch ihre korrupten Geschäfte mit der russischen Regierung auf Kosten der Bevölkerung bekannt ist. Dritte öffentlich bekanntere Oppositionspartei ist die Partei Swoboda, die mit antikommunistischer Hetze, offenem Antisemitismus und Diskriminierung von Minderheiten auftritt. Sie knüpft direkt an die Geschichte der berüchtigten faschistischen „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN) und der sogenannten „Ukrainischen Aufstandsarmee“ (UPA) an, die im II. Weltkrieg auf Seiten Hitlers gegen die sozialistische Sowjetunion standen.

Es waren faschistische Kräfte, die am 8. Dezember diesen Jahres in Kiew eine Lenin-Statue stürzten.

Die Bevölkerung leidet unter sehr großer Armut, Arbeitslosigkeit, aber vor allem unter dem Fehlen einer Perspektive.

Der Verrat am Sozialismus und der Betrug des 40 Jahre bestehenden bürokratischen Kapitalismus, der sich als „realer Sozialismus“ ausgab, hat zu Desorientierung und Verwirrung geführt. Beides zu überwinden ist wichtig, damit die Arbeiterklasse ihre führende Rolle erkämpfen und einen revolutionären Standpunkt einnehmen kann. Umso bedeutender ist, dass hier eine Organisation wie der KSRD, der Mitglied der revolutionären Weltorganisation ICOR ist, arbeitet. Die Zusammenarbeit und ge­gen­seitige Unterstützung in der ICOR ist von größter Bedeutung, um die revolutionären Organisationen und den Kampf um nationale und so­zia­le Befreiung gerade in solchen Ländern wie denen Osteuropas zu stärken.