Die Asylpolitik der sozialistischen Sowjetunion

Im Jahr 1936 wurde in der Sowjetunion nach intensiver Beratung, an der sich Millionen Werktätige beteiligten, eine neue Verfassung verabschiedet. Sie ging als „Stalin’sche Verfassung“ in die Geschichte ein. In Artikel 129 hieß es: „Die UdSSR gewährt Bürgern auswärtiger Staaten, die wegen Verfechtung der Interessen der Werktätigen oder wegen wissenschaftlicher Betätigung oder wegen nationalen Befreiungskampfes verfolgt werden, das Asylrecht.“

Dies hatte zur damaligen Zeit eine ausgesprochen aktuelle Bedeutung. In seiner Rede über die Verfassung auf dem VIII. außerordentlichen Sowjetkongress – einer Nationalversammlung der gewählten Vertreter aller Unionsrepubliken – führte Stalin aus: „Jetzt, da die trübe Welle des Faschismus die sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse mit Schmutz bespritzt und die demokratischen Bestrebungen der Besten der zivilisierten Welt in den Kot zieht, wird die neue Verfassung der UdSSR ein Anklagepunkt gegen den Faschismus sein und davon zeugen, daß Sozialismus und Demokratie unbesiegbar sind.“ (Stalin, Werke, Bd. 14, S. 89)

Das Asylrecht blieb keineswegs eine papierne Bestimmung. Obwohl die Sowjetunion sich selbst im wirtschaftlichen Aufbau befand, der gigantische Anstrengungen zur Überwindung der ererbten Rückständigkeit und Armut erforderte, zeigte sie sich ausgesprochen großherzig und großzügig. Ganze Gruppen von Schutzsuchenden fanden bei ihr Aufnahme:

• Deutsche und österreichische Flüchtlinge, die vor den Verfolgungen des 1933 installierten Hitlerfaschismus und nach der Niederschlagung des bewaffneten Arbeiterwiderstands gegen den Austrofaschismus1 im Februar 1934 gerettet wurden;

• Frauen und Kinder der im spanischen Bürgerkrieg gegen den Franco-Faschismus kämpfenden Republikaner, sowie nach der Niederlage der Demokraten 1939 viele der überlebenden Kämpfer selbst;

• zahlreiche Angehörige des jüdischen Bevölkerungsteils Polens, die nach dem Überfall Hitlers auf ihr Land im Jahr 1939 unter den Schutz der Sowjetmacht gelangen konnten und so der rassistischen Vernichtung entkamen;

• nach dem II. Weltkrieg zahlreiche der über 60.000 griechischen Kommunisten, die nach ihrer Niederlage im Bürgerkrieg 1949 fliehen mussten.

 

Asyl im ersten sozialistischen Land

Bereits vor Hitlers Regierungsantritt lebten in der Sowjetunion etwa 20.000 ausländische Facharbeiter, die aufgrund der damaligen Weltwirtschaftskrise in den kapitalistischen Ländern keine Arbeit finden konnten. Die große Mehrzahl von ihnen kam aus Deutschland. Der faschistische Terror zwang weitere zehntausende fortschrittliche Menschen zur Flucht. Einer von ihnen war Johannes R. Becher, der 1958 verstorbene spätere Kulturminister der DDR. Er schrieb: „Mehr als eine Zuflucht, mehr als Tröstung und Stärkung waren es, was wir Deutsche, die wir nach 1933 aus unserem Vaterland vertrieben wurden, in der Sowjetunion finden durften … Das Jahrzehnt meines Aufenthalts in der Sowjetunion von 1935 bis 1945 wurde mir zur fruchtbarsten Periode meines Schaffens …“

Ein Zeichen des proletarischen Internationalismus setzten die sowjetischen Völker auch gegen Spanien: „In den Betrieben und auf dem Lande fanden regelmäßig Veranstaltungen zum Thema Spanien statt. Allein auf materiellem Gebiet wurden – neben der entscheidenden militärischen Hilfe – Dutzende von Millionen Rubel gesammelt und nach Spanien geschickt, eine große Anzahl von Schiffen mit Medikamenten, Lebensmitteln und Textilien entsandt und über 4.000 spanische Kinder in sowjetischen Kinderheimen betreut.“2 1939 erhielt mit anderen Genossen auch Dolores Ibarruri, die Vorsitzende der KP Spaniens, Asyl, aus dem sie erst nach Francos Tod 1975 zurückkehren konnte.

Als der polnische Staat unter den Schlägen der Hitlerwehrmacht zerbrach, besetzte die sowjetische Rote Armee die Gebiete, die ihr 1921 von Polen geraubt worden waren. Den dort lebenden Juden rettete dies das Leben. Eine von ihnen ist die heute in Tübingen lebende Felicitas Langer, eine Menschenrechtsaktivistin, die 1990 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde (siehe „Rote Fahne“ 50/10, S. 28).

Zwar gab es in der Zeit der faschistischen Bedrohung der Sowjetunion auch Fehler bei der Abwehr von Subversion und Sabotage, was von der heutigen antikommunistischen Propaganda über die Maßen aufgebauscht wird. So kam es vor, dass Asylsuchende zu Unrecht als Agenten ausländischer Geheimdienste verdächtigt und zum Tode verurteilt wurden. Das Prägende und bis heute Vorbildliche bleiben jedoch die solidarischen und internationalistischen Beispiele einer sozialistischen Asylpolitik!

 

 

 

1 Österreichische Spielart des Faschismus in den Jahren 1933–38 vor der Annexion durch den Hitler-Faschismus.

2 Zitate aus: Klaus Jarmatz · Simone Barck · Peter Diezel – „Exil in der UdSSR“, Frankfurt/Main, 1979