Der „Nichtangriffspakt“ im Visier der Geschichtsfälscher
Kassel (Korrespondenz): Am 23. 8. 1939 wurde in Moskau zwischen der damals sozialistischen Sowjetunion und dem faschistischen Deutschland ein Nichtangriffsvertrag unterzeichnet. Seit Jahrzehnten wird von bürgerlichen Historikern, Antikommunisten und Geschichtsfälschern die Unwahrheit über dieses Abkommen verbreitet. Menschen, die der Sowjetunion wohlwollend gesinnt sind, fragen sich, ob es nicht ein Fehler war, mit dem damals aggressivsten und besonders menschenverachtenden deutschen Imperialismus einen Vertrag einzugehen.
Stalin führte in seiner Rundfunk-Rede am 3.7.1941 dazu Folgendes aus: „Man kann fragen: wie konnte es geschehen, daß die Sowjetunion auf den Abschluss eines Nichtangriffspaktes mit treubrüchigen Menschen und Ungeheuern wie Rippentrop und Hitler einging? Ist hier von der Sowjetunion nicht ein Fehler begangen worden? Natürlich nicht. Ein Nichtangriffspakt ist ein Pakt über den Frieden zwischen zwei Staaten. Eben einen solchen Pakt bot Deutschland uns im Jahre 1939 an. Konnte die Sowjetunion einen solchen Vorschlag ablehnen? Ich denke, daß kein einziger friedliebender Staat ein Friedensangebot eines benachbarten Staates ablehnen kann, selbst wenn an der Spitze dieses Staates Ungeheuer stehen wie Hitler und Rippentrop, natürlich nur unter der einen unerlässlichen Bedingung, daß das Friedensabkommen weder direkt noch indirekt die territoriale Integrität, Unabhängigkeit und Ehre eines friedliebenden Staates berührt.“ (1)
Bis zum Abschluss des Vertrages waren alle Versuche der sowjetischen Regierung, ein Abkommen und einen gegenseitigen Militärpakt mit Großbritannien, Frankreich, Polen und anderen Ländern in Europa zustande zu bringen, am Widerstand und der Verzögerungstaktik Großbritanniens und Frankreichs gescheitert. Antikommunismus und eine Überschätzung der eigenen Stärke hinderte die polnische Regierung daran, Vereinbarungen mit der Sowjetunion zu treffen. Noch Mitte August 1939 wurden in Moskau Verhandlungen über eine Übereinkunft geführt. Die Verhandlungsvertreter Frankreichs und Englands waren aber nicht autorisiert, Abkommen oder Vereinbarungen abzuschließen. Im Kern weigerte sich der Westen konkrete Zusagen zu machen sowie militärische Verpflichtungen einzugehen und stellte gleichzeitig weitgehende Forderungen an die Sowjetunion. (2, 3)
Die sowjetische Regierung kam aufgrund dieser Erfahrungen zu dem Schluss, dass diese Regierungen kein Interesse an einer politischen und militärischen Zusammenarbeit hatten und nahm das Angebot Deutschlands, Gespräche über einen Nichtangriffspakt zu führen, an.
„Hitler-Stalin-Pakt“ wird das Abkommen auch bezeichnet. Mit dieser Wortschöpfung sollen gemeinsame Interessen und eine Zusammenarbeit zwischen Hitler und Stalin auf Kosten Polens und des Friedens suggeriert werden. In Wahrheit hat es so etwas nie gegeben. Vielmehr war der Nichtangriffspakt eine bewusst gewählte Methode der Sowjetunion, um den Kriegsbeginn hinauszuzögern.
Aber es gibt ein wirkliches Beispiel für einen schändlichen Vertrag. Er wurde 1938 abgeschlossen. Auf Kosten der souveränen Tschechoslowakei. Die Beteiligten waren Chamberlain, Daladier, Mussolini und Hitler. „Münchner Abkommen“ heißt heute noch in der bürgerlichen Geschichtsschreibung dieser Schandvertrag beschönigend. Großbritannien und Frankreich haben Hitler die Tschechoslowakei geopfert und zum Fraß vorgeworfen. „Appeasement“ („Beschwichtigung)“ wurde diese Politik genannt, durch die Hitler in Wahrheit ermuntert werden sollte, den Krieg zur Vernichtung der Sowjetunion zu führen. Die Politik Großbritanniens und Frankreichs gegenüber der Sowjetunion war darauf ausgerichtet, sie so umfassend wie möglich zu isolieren. (4)
Die Hysterie, die nach dem Abschluss des Nichtangriffspakts in den Medien im Westen entstand und im Grunde bis heute anhält, war Ausdruck der Wut darüber, dass Stalin und die Sowjet-Regierung diese Pläne durchkreuzt haben.
Der „Spiegel“ behauptet in einer unterirdisch schlechten und grob wahrheitswidrigen Dokumentation aus dem Jahre 2011 mit dem Titel „Der barbarische Krieg im Osten“, es sei Stalins Schuld gewesen, dass kein Übereinkommen gegen Hitlers Expansions- und Kriegspläne zustande gekommen sei. (5) Dabei könnte man es auch beim „Spiegel“ besser wissen, wenn man das nur wollte. Allerdings wäre dazu notwendig, sich mit den historischen Quellen zu beschäftigen und nicht nur immer das wiederzukäuen, was an Falschmeldungen in der gesellschaftlichen Debatte im Umlauf ist.
Eine Quelle ist das Buch „Als USA-Botschafter in Moskau“ von Joseph E. Davies, 1943 erschienen im Steinberg Verlag, Zürich. Joseph E. Davies war zwischen Januar 1937 bis Juni 1938 in der Sowjetunion als Botschafter tätig und hatte einen guten Einblick in die Entwicklung des Landes. Er schreibt 1941 im Vorwort, warum er die ganzen Dokumente veröffentlicht: „In unserem Land herrschte und herrscht noch viel Leidenschaftlichkeit, einiges Vorurteil und noch mehr unrichtige Information in der Meinungsbildung über Russland und die Sowjetunion.“ (6)
Der damalige US-Präsident Roosevelt, in dessen Auftrag Davies in die Sowjetunion geschickt wurde, war Jugendfreund von Davies und wollte zuverlässige Informationen über das Land. In den bürgerlich-liberalen politischen Kreisen der USA war man damals an einer Zusammenarbeit mit der Sowjetunion interessiert. Hitlers Regime dagegen sah man in diesen Kreisen als Bedrohung. Davies drückt das so aus: „Russland steckt heute mitten im gewaltigen Kampf, dessen Ausgang entscheiden wird, ob die Völker dieser Erde eine geordnete und friedliche Weltgemeinschaft bilden oder, unter Vernichtung alles dessen, was uns als lebenswert gilt, der Anarchie preisgegeben sein wird … heute … kämpfen Millionen russischer Männer, Frauen und Sowjetführer, deren Heimstätten … angegriffen werden, voller Tapferkeit und sterben für eine Sache, die für unsere eigene Sicherheit von höchster Bedeutung ist. Sie sind jetzt unsere Verbündeten.“ (7)
In seinem „Memorandum über die russische Lage“ vom 18.7.1941 geht er auf die Rolle der Sowjetunion im Kampf für den Frieden so ein: „Nach meinen Beobachtungen und Kontakten seit 1936 glaube ich, daß keine Regierung der Welt die Friedensbedrohung durch Hitler und die Notwendigkeit der kollektiven Sicherheit durch Bündnisse nichtaggressiver Staaten … klarer gesehen hat als die Sowjetregierung. Sie war bereit für die Tschechoslowakei zu kämpfen. … Sogar noch nach München und selbst noch im Frühjahr 1939 erklärte die Sowjetregierung sich bereit, sich mit Großbritannien und Frankreich zu verbünden falls Deutschland Polen oder Rumänien angreifen sollte, nur bestand sie darauf, daß eine Konferenz der nichtangreifenden Staaten stattfinden sollte, um objektiv und realistisch zu bestimmen, was jeder von ihnen zu tun habe, und dann Hitler von ihrem gemeinsamen Widerstandswillen in Kenntnis zu setzen. …
Dieser Vorschlag wurde von Chamberlain abgelehnt … Während des ganzen Frühjahrs 1939 bemühten sich die Sowjets, voll Sorge, in die Rolle des ‚Affen‘ gedrängt zu werden, der den anderen ‚die Kastanien aus dem Feuer holt‘, mit anderen Worten allein gegen Hitler kämpfen zu müssen, ein definitives Abkommen … zustande zu bringen. Noch im August 1939 waren französische und englische Kommissionen zu diesem Behuf in Russland. …
Die Sowjets gewannen, nicht ohne Grund, die Überzeugung, mit Frankreich und Großbritannien könne kein wirksames, direktes und praktisches allgemeines Abkommen getroffen werden. Dies trieb sie in einen Nichtangriffspakt mit Hitler.“ (8)
Davies’ Ausführungen lassen keine Zweifel daran, wer ein wirksames Abkommen gegen Hitler und damit gegen den Krieg verhindert hat. Wie anders dagegen stellen die Geschichtsfälscher aller Couleur die Rolle der Sowjetunion und Stalins dar!
Davies schreibt weiter: „Während der ganzen Zeit ihrer Mitarbeit im Völkerbund stand die Sowjet-Union im Kampf für den Schutz der kleinen Nationen kräftig und kühn an der Spitze. Dies traf im Falle Äthiopiens wie Spanien zu. Keine Regierung hat klarer gesehen oder mit größerer Genauigkeit ausgesprochen, was Hitler tat und was er vorhatte, und was getan werden müsse, um den Frieden zu wahren und die Entfesselung eines Krieges zu hindern, als die Sowjets getan.“ (9)
Es ist natürlich kein Zufall, dass solche Quellen vom „Spiegel“, von Geschichtenerzählern wie Guido Knopp und strammen Antikommunisten wie Wolfgang Leonhard vollständig ignoriert werden. Ihnen geht es auch nicht darum, historische Tatsachen und Zusammenhänge zu klären. Sie wollen antikommunistische Vorurteile schüren und das Feindbild Kommunismus konservieren.
Quellen:
(1) Rundfunkrede am 3. 7. 1941 aus: J. Stalin Über den großen Vaterländischen Krieg, Dietz Verlag 1951, S. 7/8
(2) Dokumente und Materialien aus der Vorgeschichte des II. Weltkrieges, Band 2, Progress-Verlag, Moskau, 1983
(3) Holger Michael: Die Legende vom Hitler-Stalin-Pakt, Kai Homilius-Verlag, 2008
(4) Carroll Quigley, Appeasement. Die britische Mitschuld am Zweiten Weltkrieg, Kai Homilius-Verlag, Berlin 2010
(5) Spiegel TV: Der barbarische Krieg im Osten, 2011
(6) Joseph E. Davies, Als USA-Botschafter in Moskau, Steinberg Verlag Zürich 1943, S. XIV
(7) ebenda S. XIV
(8) ebenda S. 383/384
(9) ebenda S. 384