„Was se hent bezwecka wolla – des ischt Hauptsach!“
Ein Kampf um die Denkweise in und um Mössingen herum
Seit in Mössingen das Stück „Ein Dorf im Widerstand“ aufgeführt wird, ist jede Vorstellung ausverkauft. Woran mag das liegen? Einen Grund nennt der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg in seinem Geleitwort zum Programmheft. Dabei bezieht er sich auf die historische Einzigartigkeit des Vorgangs, den das Stück zum Inhalt hat:
„Nicht etwa in Hamburg oder in Berlin, sondern in der damals 4.000 Einwohner zählenden Gemeinde Mössingen waren die Menschen am Tag der Vereidigung Adolf Hitlers zum Reichskanzler gegen seine Ernennung und die Übernahme der Regierung durch die Nationalsozialisten auf die Straße gegangen. Etwa 800 Mössinger, Nehrener und Talheimer folgten am 31. Januar 1933 dem Aufruf der Kommunistischen Partei zu einem Massenstreik.“
Bei Winfried Kretschmann klingt ein gewisser Stolz aus diesen Worten – und man kann sie eigentlich nur verstehen vor dem Hintergrund, dass in Mössingen und in der ganzen Region seit Monaten ein heftiger Kampf um die Denkweise geführt wird: Vor allem darum, wie man heute zu dem damaligen Ereignis stehen soll. Durchgesetzt hat sich – bei allen noch bestehenden Widersprüchen –, was auch als Fazit am Ende des Stückes von einem Massenchor und in schwäbischem Dialekt gezogen wird: „Der Vorgang ischt doch des was zählt! Was se gmacht hent! Ond was se wölla hent! Was se hent bezwecka wolla – des ischt Hauptsach! Auf des kommt’s an und des bleibt unvergesslich, Punkt! Sense! Aus! Ende!“
Doch bevor es so weit ist, werden die Besucher zwei Stunden und 20 Minuten lang plus einer Pause in Atem gehalten – bis sie am Ende begeistert klatschen und damit gar nicht mehr aufhören wollen. Was sich dazwischen abspielt an Tanzszenen, Sprechchören, Monologen, Dialogen, Sportübungen, Massenschulungen, Demonstrationen, Kundgebungen, Verhaftungen, Misshandlungen, aber auch Streit unter den Kämpfenden, Denunziationen, Resignation, Verzweiflung und immer wieder neuem Kampfeswillen, zieht alle in den Bann. Klar wird: Diese Mössinger da auf der Bühne kämpften nicht „nur“ gegen Hitler, sie hatten ihre eigenen Ziele – und die hießen Sozialismus und Kommunismus!
Hitler wurde bekämpft, weil er ein Knecht des verhassten Kapitalismus war, zweifellos der brutalste von allen. Diesen ausbeuterischen und unterdrückerischen Kapitalismus aber wollte man schon lange nicht mehr – längst nicht nur in Mössingen, wo die KPD bei den Wahlen im November 1932 32,2 Prozent der Wählerstimmen erhalten hatte, die SPD nur noch 6 Prozent, die NSDAP aber über 40. Diese Polarisierung zwischen Kommunismus und Faschismus prägt auch das Stück. Zwar siegen am Ende (vorläufig) die Faschisten, die wahren Sieger aber sind die revolutionären schwäbischen Arbeiter, Handwerker und Bauern und ihre marxistische Weltanschauung.
Die Glaubwürdigkeit und Authentizität, mit der diese kämpferische Parteinahme den 150 Schauspielern in einem beeindruckenden Ensemble aus Profis und Laien gelingt, dürfte ein weiterer wesentlicher Grund sein für die Popularität der Aufführungen. So mancher auf den Sitzen würde wohl am liebsten mit auf die Bühne der Pausa-Halle, dem Originalschauplatz des Streiks, hinunter springen, um mitzutun bei der revolutionären Aktion – oder einfach auch nur mitzusingen, z. B. wenn die „Internationale“ aus vollem Herzen geschmettert wird.
Aktionismus ist es gleichwohl nicht, was da den roten Faden für das Drama liefert. Nur rumrennen, nur wütend sein, nur reagieren, nur Spontaneität – das ist die Sache dieser Schauspieler, ihres Regisseurs Philipp Becker und des Autors Franz Xaver Ott nicht. Bewusstheit ist Trumpf. Beeindruckend eine Schulungsszene unter der roten Sportjugend des Ortes: Immer, wenn der kommunistische Schulungsleiter die Diskussion auf den Punkt bringt (oft mit Marx-Zitaten), springt gleichzeitig ein Jugendlicher akrobatisch und mit Anlauf über ein Sprungbrett, kommt sicher wieder auf, trifft also auch in der Praxis den Punkt – großen Beifall seiner Sportsfreunde erntend. Selten sah man ein treffenderes Bild von revolutionärem Schwung gepaart mit Sachlichkeit.
Bei alldem verschweigt das Stück die menschlichen Schwierigkeiten und Widersprüche nicht, seien es Konflikte zwischen den Streikenden, z. B. wenn die Streikabstimmung äußerst knapp ausfällt und immer wieder in Frage gestellt und von den Gegnern zu zerreden versucht wird, die Entscheidung aber dennoch mutig und entschlossen zur Umsetzung kommt. Oder wenn gegenüber nicht streikbereiten Frauen in einer der „Pausa“ benachbarten Textilfabrik Gewalt statt Überzeugung angewendet wird. Hier werden sogar zwei Versionen gespielt, eine mit „sanfter“, die andere mit „massiver“ Gewalt, wie es in der Regie-Anweisung heißt. Über beide Versionen wird bis heute gestritten! Auch schwierige Lebensentscheidungen der verantwortlichen Führer werden thematisiert, z. B. am proletarischen Klassenkampf festzuhalten, auch wenn die geliebte Frau schwanger ist und eine ruhige und sichere Zukunft ersehnt – ohne Verfolgung, Gefängnis und KZ. Nicht zuletzt klingen auch Tendenzen der Desorientierung und Ratlosigkeit an, besonders gegen Schluss und in Verbindung mit der Frage, was aus den Akteuren späterhin wurde.
„Wie hätten wir uns damals verhalten?“, fragt mich ein Mann in der Pause. Noch bevor ich etwas antworten kann, fährt er fort: „Ob ich gekämpft hätte, weiß ich nicht, aber verraten hätte ich niemanden.“ Der Kampf um die Denkweise ist herausgefordert, auch 80 Jahre danach – vielleicht die größte Stärke des Stückes.
Zugleich bleibt der weltanschauliche Kampf nicht stehen, wenn das Stück zu Ende ist. Schon in dem Moment, wo man die Aufführung verlässt und interessiert an näheren Informationen noch einmal genauer ins Programmheft schaut, stößt man z. B. auf einen „Festvortrag“ zum 80. Jahrestags des Streiks von Professor Ewald Frie, der dort größtenteils dokumentiert ist. Richtigerweise erklärt er, dass auch durch einen Massenstreik in ganz Deutschland – nicht nur in Mössingen – die Faschisten kaum zum friedlichen Rückzug hätten gezwungen werden können. Dann wäre es seiner Ansicht nach auf den bewaffneten Kampf hinausgelaufen, wobei er an die Ruhrkämpfe von 1920 erinnert, „nur großflächiger“. Ob man eine solche revolutionäre Gewalt aber begrüßen oder eher fürchten sollte, lässt er offen. Nicht offen wiederum bleibt ein antikommunistischer Seitenhieb. Die Mössinger Streikenden hätten laut Professor Frie als „kleine Leute ehrenwerte Ziele“ verfolgt, was sie aber auf keinen Fall wollten, sei ein „stalinistisches Deutschland“ gewesen.
Wollten sie nicht? Im Stück findet man derlei Aussagen nicht! Abgesehen davon, dass auf der Bühne, ebenso wie damals im wirklichen Leben für den Sozialismus-Kommunismus gekämpft wurde – und nicht für einen angeblichen „Stalinismus“ – diesen antikommunistischen Kampfbegriff gab es damals noch gar nicht –, stand die sozialistische Sowjetunion zu jener Zeit an der Seite der deutschen Antifaschisten und war vielen von ihnen gesellschaftliches Vorbild. Und dass der Faschismus schließlich besiegt wurde, wäre ohne die Rote Armee unter der Führung Stalins historisch so ebenfalls nie möglich gewesen.
Was dann später aus den sozialistischen Ländern wurde und welche Lehren für heute zu ziehen sind, kann das „Dorf im Widerstand“ natürlich nicht erschöpfend klären. Die Fragen aber – nach der Geschichte, der Gegenwart und Zukunft –, die es aufzuwerfen versteht, sind wertvoll und schöpferisch. Damit gehört das Stück erfreulicherweise zu einer Richtung, die der im bürgerlichen Medien- und Kulturapparat heute vorherrschenden antikommunistischen Zensur und Selbstzensur wirkungsvoll Kontrast bietet – künstlerisch ein Erlebnis und in der politischen Aussagekraft offensiv! Seit in Mössingen das Stück „Ein Dorf im Widerstand“ aufgeführt wird, ist jede Vorstellung ausverkauft. Woran mag das liegen? Einen Grund nennt der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg in seinem Geleitwort zum Programmheft. Dabei bezieht er sich auf die historische Einzigartigkeit des Vorgangs, den das Stück zum Inhalt hat:
„Nicht etwa in Hamburg oder in Berlin, sondern in der damals 4.000 Einwohner zählenden Gemeinde Mössingen waren die Menschen am Tag der Vereidigung Adolf Hitlers zum Reichskanzler gegen seine Ernennung und die Übernahme der Regierung durch die Nationalsozialisten auf die Straße gegangen. Etwa 800 Mössinger, Nehrener und Talheimer folgten am 31. Januar 1933 dem Aufruf der Kommunistischen Partei zu einem Massenstreik.“
Bei Winfried Kretschmann klingt ein gewisser Stolz aus diesen Worten – und man kann sie eigentlich nur verstehen vor dem Hintergrund, dass in Mössingen und in der ganzen Region seit Monaten ein heftiger Kampf um die Denkweise geführt wird: Vor allem darum, wie man heute zu dem damaligen Ereignis stehen soll. Durchgesetzt hat sich – bei allen noch bestehenden Widersprüchen –, was auch als Fazit am Ende des Stückes von einem Massenchor und in schwäbischem Dialekt gezogen wird: „Der Vorgang ischt doch des was zählt! Was se gmacht hent! Ond was se wölla hent! Was se hent bezwecka wolla – des ischt Hauptsach! Auf des kommt’s an und des bleibt unvergesslich, Punkt! Sense! Aus! Ende!“
Doch bevor es so weit ist, werden die Besucher zwei Stunden und 20 Minuten lang plus einer Pause in Atem gehalten – bis sie am Ende begeistert klatschen und damit gar nicht mehr aufhören wollen. Was sich dazwischen abspielt an Tanzszenen, Sprechchören, Monologen, Dialogen, Sportübungen, Massenschulungen, Demonstrationen, Kundgebungen, Verhaftungen, Misshandlungen, aber auch Streit unter den Kämpfenden, Denunziationen, Resignation, Verzweiflung und immer wieder neuem Kampfeswillen, zieht alle in den Bann. Klar wird: Diese Mössinger da auf der Bühne kämpften nicht „nur“ gegen Hitler, sie hatten ihre eigenen Ziele – und die hießen Sozialismus und Kommunismus!
Hitler wurde bekämpft, weil er ein Knecht des verhassten Kapitalismus war, zweifellos der brutalste von allen. Diesen ausbeuterischen und unterdrückerischen Kapitalismus aber wollte man schon lange nicht mehr – längst nicht nur in Mössingen, wo die KPD bei den Wahlen im November 1932 32,2 Prozent der Wählerstimmen erhalten hatte, die SPD nur noch 6 Prozent, die NSDAP aber über 40. Diese Polarisierung zwischen Kommunismus und Faschismus prägt auch das Stück. Zwar siegen am Ende (vorläufig) die Faschisten, die wahren Sieger aber sind die revolutionären schwäbischen Arbeiter, Handwerker und Bauern und ihre marxistische Weltanschauung.
Die Glaubwürdigkeit und Authentizität, mit der diese kämpferische Parteinahme den 150 Schauspielern in einem beeindruckenden Ensemble aus Profis und Laien gelingt, dürfte ein weiterer wesentlicher Grund sein für die Popularität der Aufführungen. So mancher auf den Sitzen würde wohl am liebsten mit auf die Bühne der Pausa-Halle, dem Originalschauplatz des Streiks, hinunter springen, um mitzutun bei der revolutionären Aktion – oder einfach auch nur mitzusingen, z. B. wenn die „Internationale“ aus vollem Herzen geschmettert wird.
Aktionismus ist es gleichwohl nicht, was da den roten Faden für das Drama liefert. Nur rumrennen, nur wütend sein, nur reagieren, nur Spontaneität – das ist die Sache dieser Schauspieler, ihres Regisseurs Philipp Becker und des Autors Franz Xaver Ott nicht. Bewusstheit ist Trumpf. Beeindruckend eine Schulungsszene unter der roten Sportjugend des Ortes: Immer, wenn der kommunistische Schulungsleiter die Diskussion auf den Punkt bringt (oft mit Marx-Zitaten), springt gleichzeitig ein Jugendlicher akrobatisch und mit Anlauf über ein Sprungbrett, kommt sicher wieder auf, trifft also auch in der Praxis den Punkt – großen Beifall seiner Sportsfreunde erntend. Selten sah man ein treffenderes Bild von revolutionärem Schwung gepaart mit Sachlichkeit.
Bei alldem verschweigt das Stück die menschlichen Schwierigkeiten und Widersprüche nicht, seien es Konflikte zwischen den Streikenden, z. B. wenn die Streikabstimmung äußerst knapp ausfällt und immer wieder in Frage gestellt und von den Gegnern zu zerreden versucht wird, die Entscheidung aber dennoch mutig und entschlossen zur Umsetzung kommt. Oder wenn gegenüber nicht streikbereiten Frauen in einer der „Pausa“ benachbarten Textilfabrik Gewalt statt Überzeugung angewendet wird. Hier werden sogar zwei Versionen gespielt, eine mit „sanfter“, die andere mit „massiver“ Gewalt, wie es in der Regie-Anweisung heißt. Über beide Versionen wird bis heute gestritten! Auch schwierige Lebensentscheidungen der verantwortlichen Führer werden thematisiert, z. B. am proletarischen Klassenkampf festzuhalten, auch wenn die geliebte Frau schwanger ist und eine ruhige und sichere Zukunft ersehnt – ohne Verfolgung, Gefängnis und KZ. Nicht zuletzt klingen auch Tendenzen der Desorientierung und Ratlosigkeit an, besonders gegen Schluss und in Verbindung mit der Frage, was aus den Akteuren späterhin wurde.
„Wie hätten wir uns damals verhalten?“, fragt mich ein Mann in der Pause. Noch bevor ich etwas antworten kann, fährt er fort: „Ob ich gekämpft hätte, weiß ich nicht, aber verraten hätte ich niemanden.“ Der Kampf um die Denkweise ist herausgefordert, auch 80 Jahre danach – vielleicht die größte Stärke des Stückes.
Zugleich bleibt der weltanschauliche Kampf nicht stehen, wenn das Stück zu Ende ist. Schon in dem Moment, wo man die Aufführung verlässt und interessiert an näheren Informationen noch einmal genauer ins Programmheft schaut, stößt man z. B. auf einen „Festvortrag“ zum 80. Jahrestags des Streiks von Professor Ewald Frie, der dort größtenteils dokumentiert ist. Richtigerweise erklärt er, dass auch durch einen Massenstreik in ganz Deutschland – nicht nur in Mössingen – die Faschisten kaum zum friedlichen Rückzug hätten gezwungen werden können. Dann wäre es seiner Ansicht nach auf den bewaffneten Kampf hinausgelaufen, wobei er an die Ruhrkämpfe von 1920 erinnert, „nur großflächiger“. Ob man eine solche revolutionäre Gewalt aber begrüßen oder eher fürchten sollte, lässt er offen. Nicht offen wiederum bleibt ein antikommunistischer Seitenhieb. Die Mössinger Streikenden hätten laut Professor Frie als „kleine Leute ehrenwerte Ziele“ verfolgt, was sie aber auf keinen Fall wollten, sei ein „stalinistisches Deutschland“ gewesen.
Wollten sie nicht? Im Stück findet man derlei Aussagen nicht! Abgesehen davon, dass auf der Bühne, ebenso wie damals im wirklichen Leben für den Sozialismus-Kommunismus gekämpft wurde – und nicht für einen angeblichen „Stalinismus“ – diesen antikommunistischen Kampfbegriff gab es damals noch gar nicht –, stand die sozialistische Sowjetunion zu jener Zeit an der Seite der deutschen Antifaschisten und war vielen von ihnen gesellschaftliches Vorbild. Und dass der Faschismus schließlich besiegt wurde, wäre ohne die Rote Armee unter der Führung Stalins historisch so ebenfalls nie möglich gewesen.
Was dann später aus den sozialistischen Ländern wurde und welche Lehren für heute zu ziehen sind, kann das „Dorf im Widerstand“ natürlich nicht erschöpfend klären. Die Fragen aber – nach der Geschichte, der Gegenwart und Zukunft –, die es aufzuwerfen versteht, sind wertvoll und schöpferisch. Damit gehört das Stück erfreulicherweise zu einer Richtung, die der im bürgerlichen Medien- und Kulturapparat heute vorherrschenden antikommunistischen Zensur und Selbstzensur wirkungsvoll Kontrast bietet – künstlerisch ein Erlebnis und in der politischen Aussagekraft offensiv!