Die Panik vor der revolutionären Weltkrise
Die Mitarbeiter in der Presidio-Kaserne im kalifornischen Monterey staunten nicht schlecht, als sie versuchten die Website der Zeitung „The Guardian“ aufzurufen: Statt der Enthüllungen über die größte Massenüberwachung in der Menschheitsgeschichte sahen sie auf dem Bildschirm einen Warnhinweis ihrer Militärführung, der Zugriff sei ihnen verboten und landesweit in allen Militärnetzen ausgefiltert. Schließlich seien die Dokumente (die schon weltweit über alle Zeitungen und Fernsehsender verbreitet wurden) immer noch als „top secret“ klassifiziert. Besser hätte man die Hilflosigkeit und Panik nicht zum Ausdruck bringen können, mit der die Herrschenden auf die vom ehemaligen Geheimdienst-Mitarbeiter Edward Snowden ausgelösten Enthüllungen reagierten. Auf ein solches Szenario hatten ihre Allmachtsphantasien sie wohl nicht vorbereitet.
Seit dem 5. Juni hatte der jetzt mit US-Haftbefehl gesuchte Snowden über den britischen „Guardian“ immer neue Beweise veröffentlicht. Sie decken ein System auf, das klar Kurs nimmt auf nicht weniger als die flächendeckende Überwachung der Weltbevölkerung. Dieses System, das die breiten Massen pauschal zu potenziellen Verbrechern und Terroristen erklärt, die rund um die Uhr heimlich überwacht werden müssen, ist Ausdruck der sich vertiefenden politischen Defensive der Herrschenden. Mit dem geheimen und massiven Ausbau des Überwachungsapparates ist das internationale Finanzkapital ein hohes Risiko eingegangen. Die Herrschenden wussten, dass bei einer Aufdeckung das Vertrauen breiter Massen in ihre Herrschaft weiter zerrüttet wird. Damit wird auch das System der kleinbürgerlichen Denkweise als heute hauptsächliches Herrschaftsinstrument zunehmend untergraben.
Die Allmachtsphantasien einer weltweiten Kontrolle durch die Hauptachse USA-Großbritannien verschärfen auch die zwischenimperialistischen Widersprüche und die allgemeine Kriegsgefahr.
Die Operation „Tempora“ ist mit Abstand das weitgehendste, was bisher aufgedeckt wurde. Der britische Geheimdienst GCHQ zapft direkt mehr als 200 Glasfaserverbindungen von Großbritannien nach Nordamerika und West-Europa an. So wird ein beträchtlicher Teil des globalen Internetverkehrs und der Telekommunikation belauscht. Seit Mai des vergangenen Jahres sind 300 Analysten des GCHQ sowie 250 Mitarbeiter der NSA damit befasst, sich durch die Datenmengen zu wühlen. Neben dem Datenverkehr werden außerdem 600 Millionen „Telefon-Ereignisse“ erfasst. Ziel des GCHQ ist, das System auf 1.300 der insgesamt 1.500 von Großbritannien abgehenden Tiefseekabel auszudehnen.
Wie kann man das Internet überwachen?
Das Internet ist eine riesige Ansammlung von miteinander verbundenen Einzelnetzen, die jeweils von ihren Besitzern (Telekommunikationsmonopole, Behörden, Staaten, Forschungseinrichtungen usw.) kontrolliert werden. Zwischen diesen Netzen müssen die Daten an zentralen Verbindungspunkten übergeben werden. Die Vollüberwachung setzt genau hier an: Entweder an den Internet-Knoten (IXP), an denen diese Einzelnetze miteinander verbunden sind. Weltweit existieren zirka 340 davon. Im weltweit größten kommerziellen, dem DE-CIX in Frankfurt, hat der Geheimdienst BND laut „Spiegel“ eigene Räume. Ein noch effektiverer Ansatzpunkt sind die den Grund des Atlantik durchlaufenden Glasfaser-Verbindungen. Für den GCHQ günstig laufen fast alle Verbindungen zwischen Europa und Amerika über England. Unter den überwachten Kabeln ist auch das 15.400 km lange TAT-14, über das fast die gesamte deutsche Übersee-Kommunikation abgewickelt wird.
Am 30.6. wurden von Snowden geheime Dokumente veröffentlicht, nach denen die NSA in Deutschland jeden Monat rund eine halbe Milliarde Telefonate, Mails und SMS überwacht, an Spitzentagen sind es rund 60 Millionen Telefonverbindungen.
„Terrorbekämpfung“ als Ziel?
Erfahrene bürgerliche Sicherheitsexperten weisen nach, dass eine solche Massenüberwachung zur Verhinderung von Terroranschlägen untauglich ist. Unter anderem, weil es dort keine klaren ,Signaturen‘ gebe, die man dann aus den Datenfluten heraus filtern könnte.
Tatsächlich sind diese Maßnahmen eine Vorbereitung der Herrschenden auf eine revolutionäre Weltkrise. Sie machen nur dann Sinn, wenn man sie gegen die sich erhebenden Massen einsetzen, z.B. Führer und Organisationsstrukturen von Massenkämpfen, -organisationen oder Parteien und ihre Verhaltensweisen aufdecken will. Sie sind in ihrer grundlegenden Struktur nicht gegen terroristische Gruppen sondern gegen das internationale Industrieproletariat und seine revolutionären Parteien ausgerichtet.
Die beschleunigte Vorbereitung auf eine offen gewaltsame Unterdrückung der revoltierenden Massen muss mit großer Wachsamkeit entgegengetreten werden. Sie ist Teil einer verzweifelten Verteidigungsschlacht des von innen her verfaulenden imperialistischen Ausbeutersystems und bei aller Bedrohlichkeit sind auch ihre Schwächen nicht zu übersehen. Durch den massiv aufgeblähten Überwachungsapparat haben 1,4 Millionen US-Amerikaner Zugang zu als „top secret“ klassifizierten Informationen. Die Herrschenden sind tief verunsichert, wie sie verhindern sollen, dass unter diesen das Beispiel Snowden Schule macht. Und was passieren soll, wenn ihnen das nicht gelingt.
Da es sich hier um international koordinierte Maßnahmen der Herrschenden handelt, kann man ihnen auch nur in einem international koordinierten Massenkampf für demokratische Rechte und gegen die Faschisierung der Staatsapparate entgegentreten.