Wie funktioniert eigentlich „Anti-Stalinismus“?

Am 5. März diesen Jahres jährte sich der Todestag Josef Stalins zum 60. Mal. Ein Grund für die bürgerlichen Massenmedien, erneut eine Welle antikommunistischer Geschichtsfälschung über den Nachfolger Lenins in die Welt zu setzen.

Vor kurzem strahlte der Fernsehsender arte eine Folge seines Jugendmagazins „Yourope“ mit dem Titel „Das Erbe der Diktatoren – Europas Jugend und die alten Leitbilder“ aus. Besorgt wird unter anderem berichtet, wie Jugendliche in Russland sich Stalin heute wieder zum Vorbild nehmen. Der Moderator leitet ein: „Und was sagt Stalin zum Thema Opfer? Zitat: ,Der Tod eines Mannes ist eine Tragödie, aber der Tod von Millionen nur eine Statistik.‘ Schon dieser eine Satz zeigt die Skrupellosigkeit seines Regimes. Mit Säuberungen, Schauprozessen, Auftragsmorden und Gulags schaltete er jegliche Opposition aus.“

Tatsächlich gehören der Satz über die Millionen Toten, die nur eine Statistik seien, und der Satz „Der Tod löst alle Probleme – kein Mensch, kein Problem“ zu den am weitesten verbreiteten „Stalin-Zitaten“. Wer bei Google nach „Stalin Zitat“ sucht, findet sie unter den ersten 20 Treffern zwölfmal. Sie gehören zum Standard-Repertoire in antikommunistischen Büchern und Reportagen, kaum eine bürgerliche Zeitung, die sie nicht schon x-mal gedruckt hätte. Sie sollen vor allem die Gefühle der Menschen ansprechen, Empörung und Abscheu wecken. Wer wie Stalin solche Dinge ausspricht, so das Kalkül, über den ist alles gesagt. Wer will schon etwas mit einem Politiker zu tun haben, der eine so offen menschenverachtende Einstellung hat – oder gar für eine sozialistische Gesellschaft kämpfen, in der dann Menschenleben nichts zählen? Die Sache hat nur einen kleinen Haken: Beide Zitate sind Fälschungen, die in völligem Gegensatz zu Stalins revolutionärer Weltanschauung und Politik stehen.

Der Tod eines Mannes ist eine Tragödie, aber der Tod von Millionen nur eine Statistik“

Selbst die renommierten Zitatesammlungen der Universitäten Yale und Oxford führen diesen Satz als Stalin-Zitat. Entgegen aller wissenschaftlicher Gepflogenheiten ist es hier, wie auch in allen anderen Veröffentlichungen, unmöglich, eine Quellenangabe zu bekommen. Fündig wird man schließlich in dem relativ unbekannten, 1980 in den USA veröffentlichten Buch „Stalin – Portrait einer Tyrannei“ des russischen Autors Antonow-Owssejenko. Er behauptet auf Seite 339, Stalin habe diesen Satz 1943 auf der Teheraner Konferenz zum britischen Premierminister Churchill gesagt. Als Quelle sind ohne Seitenangabe Churchills Memoiren „The Second World War“ angegeben – wohl in der Hoffnung, dass schon niemand das 4.852 Seiten lange Werk nach dem Zitat durchsuchen wird. Tatsache ist aber, dass weder hier noch in den Protokollen der Teheraner Konferenz ein solches Gespräch zu finden ist. Wer nun gedacht hatte, unsere antikommunistischen Fälscher hätten wenigstens eine literarische Leistung erbracht, wird wiederum enttäuscht: Das Zitat hat sich Owssejenko nicht selbst ausgedacht, sondern aus dem 1925 veröffentlichten, kaum bekannten Artikel „Französischer Witz“ von Kurt Tucholsky abgeschrieben. Dort schreibt dieser: „Darauf sagt ein Diplomat vom Quai d’Orsay: ,Der Krieg? Ich kann das nicht so schrecklich finden! Der Tod eines Menschen: das ist eine Katastrophe. Hunderttausend Tote: das ist eine Statistik‘“

Der Tod löst alle Probleme – kein Mensch, kein Problem“

Auch dieses angebliche Stalin-Zitat wird nie mit Quellenangabe verwendet. Man kann es schließlich zurückverfolgen zu Robert Conquest, einer „grauen Eminenz“ unter den antikommunistischen Propagandaautoren. Auf Seite 114 seines Buches „Stalin – Der totale Wille zur Macht“ schreibt er 1991: „Als ein Untergebener ihn darauf hinwies, dass [Massenerschießungen] Probleme verursachen könnten, soll Stalin geantwortet haben, dass dem nicht so sei, denn ,der Tod löst alle Probleme: kein Mensch, kein Problem‘.“ Aus dem noch etwas verschämten „soll geantwortet haben“ wird dann bei allen anderen abschreibenden „Historikern“ wie dem auch im deutschen Fernsehen als „Stalin-Experte“ auftretenden Simon Montefiore ein von Conquest wissenschaftlich überprüftes Zitat. In Wahrheit hat Conquest das Zitat in bester Fälschermanier aus der frei erfundenen antikommunistischen Romangeschichte „Die Kinder vom Arbat“ des russischen Autors Anatoly Rybakov abgeschrieben, in der dieser, wie er selbst bestätigt, allein seiner Phantasie entspringende, fiktive Gespräche mit Stalin führt.

Solche „Zitate“ sind eine besondere Methode der antikommunistischen Hetze: lange Artikel oder Bücher über Stalin erreichen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. Die perfide Methode der massiv vor allem über die monopolisierten Massenmedien verbreiteten Zitatfälschung zielt dagegen vor allem auf die breite Masse der Bevölkerung.

Der zweite Teil des Artikels wird sich damit befassen, wie diese betrügerische Meinungsmanipulation wirkt, welches reale Bild von Stalin damit verdeckt werden soll und welche Interessen damit verfolgt werden.