Indien: Massenproteste gegen Gewalt an Frauen

Massenproteste anlässlich der barbarischen Vergewaltigung einer 23-jährigen Studentin in Delhi am 16. Dezember, die an den Folgen verstarb, haben in den letzten Wochen ganz Indien erfasst.

Das Schicksal der jungen Frau berührt die Weltöffentlichkeit zutiefst. Nach einem Kinobesuch wurde sie in einem Bus von sechs Männern brutalst vergewaltigt und mit einer Eisenstange fast zu Tode gefoltert. Auch ihr Freund wurde zusammengeschlagen, beide wurden anschließend auf die Straße geworfen und konnten sich gerade noch davor retten, mit dem Bus überrollt zu werden.
Das Bekanntwerden der abscheulichen Tat war wie ein Tropfen, der im ganzen Land das Fass zum Überlaufen brachte. In der Metropole Delhi wurden im letzten Jahr mehr als 750 Männer wegen Vergewaltigungen festgenommen, die Dunkelziffer liegt weit höher. Nur ein Einziger von ihnen wurde verurteilt. Gewalt gegen Frauen ist in Indien allgegenwärtig. Doch die Menschen sind immer weniger bereit, das hinzunehmen.
Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich die Proteste von Delhi auf die anderen Megastädte Kalkutta, Mumbay, Chennay und viele weitere Orte. Zehntausende Frauen und Männer, Studentinnen und Studenten, Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Intellektuelle gehen gemeinsam auf die Straße, organisieren Mahnwachen, Protestversammlungen und öffentliche Debatten. Der Protest wird auch von Kräften des aktiven Volkswiderstands unterstützt und ist zu einem wichtigen Anliegen der Arbeiterbewegung geworden. Vor allem Jugendliche und junge Menschen prägen die Massenbewegung. Im Vordergrund stehen die Forderungen nach „Bestrafung der Vergewaltiger“ und einem „Ende der Gewalt an Frauen“. Sie richtet sich aber auch gegen die Regierung, die diese Verhältnisse duldet und fördert, gegen die verbreitete Korruption im Staatsapparat, gegen alltägliche Polizeibrutalität und die verkommene imperialistische Kultur, in der die Frau zur Ware degradiert wird. „Wir hören nicht auf, bevor die Gesellschaft sich nicht geändert hat“, so drückten Teilnehmer ihre Entschlossenheit aus.
Gabi Gärtner, frauenpolitische Sprecherin der MLPD, nimmt dazu aktuell Stellung:

Wir sind hell empört über die in Indien alltägliche, extrem frauenverachtende sexuelle Gewalt, wie sie am Fall der ermordeten Studentin schlagartig öffentlich wurde. Es wird greifbar, welche barbarischen Taten der Kapitalismus hervorbringt, der die Jahrtausende verwurzelte besondere Unterdrückung der Frau auf die Spitze treibt. Wir sprechen der Familie, den Freundinnen und Freunden der jungen Frau, wie auch den Hunderttausenden Opfern, die anonym geblieben sind, unser Mitgefühl, Trauer und Solidarität aus.

Wir teilen ihren Zorn und haben große Hochachtung für die mutige, kämpferische Massenbewegung, die sie in Indien entfacht haben und die weltweit ausstrahlt. Sie macht deutlich, dass jahrhundertelang geprägte Strukturen aufbrechen – scheinbar Unveränderliches sich verändern kann. Die Akteurinnen und Akteure dieser Veränderungen sind eine Masse von oft jungen Frauen und Männern, die durch die Ereignisse politisiert aufstehen und offensive Forderungen an die Regierung stellen. Sie richten sich vor allem gegen die politisch Verantwortlichen, die Polizei, die gesellschaftliche Unterdrückung und massenhaft straflos ausgehenden, brutalen Erniedrigungen – je höher der gesellschaftliche Stand des Vergewaltigers ist …!

Das stellt heftig die Jahrtausende alte extrem rückschrittliche hinduistische Prägung Indiens in Frage. Danach sind Frauen grundsätzlich weniger wert als Männer und werden als Teil der gesellschaftlichen Ausbeutung und Unterdrückung besonders geknechtet. Bedeutend ist auch, wie die hinter den Verbrechen stehenden Denkmuster, zum Teil gezielt von reaktionären Kräften verbreitet, in den Protesten thematisiert und bewusst angegriffen werden: „Dass die Frauen selbst schuld seien …“, „dass sie sich eben nicht so aufreizend anziehen dürfen“ usw. Ohne die hinter gesellschaftlichen Missständen stehende Denkweise zu verändern, wird sich auch die Gesellschaft nicht ändern lassen. Und gerade diese „Argumente“ sind es, die auch hier in Deutschland subtil wirken, die Frauen oft noch in die Defensive bringen, ihr Selbstbewusstsein schwächen.

Hier bricht auf, was nicht mehr in die gesellschaftliche Realität passt. Indien ist auf dem Weg von einem neokolonial ausgebeuteten Land zu einem imperialistischen Land. Immer mehr Industrieproduktion und Forschung entstehen  auf modernstem Niveau – zugunsten sich herausbildender  internationaler Übermonopole, neuer Superreicher und auf Kosten der Masse der Bevölkerung. Millionen Frauen wurden so zu einem Teil des internationalen Industrieproletariats oder arbeiten in der Forschung Indiens – zu einem immer größeren Teil hochproduktiv und hochqualifiziert. Sie fordern entsprechend eine andere Kultur und Stellung der Frau in der Gesellschaft. Dass solche Kämpfe international zunehmen, zeigen Beispiele wie das Nachbarland Nepal oder die Türkei.

Diese Bewegung ist ein Ausdruck des weltweiten Linkstrends. In Indien spielen dabei die Kämpfe des Industrieproletariats eine besondere Rolle, das immer deutlicher auf den Plan tritt.  Sie zeigt auch: Der Kampf gegen die besondere Ausbeutung und Unterdrückung der Frau in der Gesellschaft, für die Befreiung der Frau hat eigenständige Bedeutung im Befreiungskampf der Menschheit! Bereits in den Volksaufständen und Massenkämpfen seit 2011 in Tunesien, Ägypten, in Palästina und Türkei/Kurdistan zeichnete sich die besondere Rolle der Frauen ab.

Aber dieser Kampf braucht auch Perspektive, Organisationskraft und Klarheit. Es ist doch bitter, wie ohne ausreichend starke und klare Perspektive und Führung die todesmutigen Kämpfe z. B. in Ägypten erst einmal in der Sackgasse endeten. Die richtige Antwort auf diese Entwicklung ist die stärkere Organisierung der Frauen und sich Klarheit zu verschaffen. Mit dem Buch „Neue Perspektiven für die Befreiung der Frau“ hat die MLPD bereits vor Jahren „die besondere Unterdrückung der Frau und die Rolle der bürgerlichen Tradition und Moral in der kapitalistischen Gesellschaft“ (Kapitel I.4) behandelt und Perspektiven zu ihrer Befreiung aufgezeigt. Dieses Buch ist in diesen Kämpfen brandaktuell – und mit einer englischen, spanischen und türkischen Übersetzung auch international einsetzbar.
Gerade in den letzten Jahren entwickelte sich der Zusammenschluss der Frauen der Welt zu einer international verbundenen kämpferischen Weltfrauenbewegung im Zusammenhang mit der 1. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen 2011 in Venezuela. Als ein gemeinsamer internationaler Kampftag wurde ausgehend davon seit einigen Jahren der 25. November, der Tag gegen Gewalt an Frauen, begangen. Was fast als „Nischenthema“ begann, ist heute Gegenstand einer Massenbewegung!

Als Mitglied der ICOR (Internationale Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen) fördert die MLPD aktiv diesen Prozess der Koordinierung und Revolutionierung der Kämpfe für die Befreiung der Frau, als Bestandteil des Kampfes für die soziale Befreiung der Arbeiterklasse und der internationalen sozialistischen Revolution. Sie fördert dabei vor allem die gegenseitige Unterstützung im Aufbau starker marxistisch-leninistischer Parteien und einer weltweiten organisierten kämpferischen Frauenbewegung. Die Notwendigkeit dafür wird durch die Ereignisse in Indien unterstrichen!