In Würde altern – im Sozialismus keine leeren Worte
In dem Pflegeheim, in dem mein Schwiegervater gelebt hat, gibt es eine Reihe von Initiativen, die Fähigkeiten der Bewohner zu fördern und den würdevollen Umgang mit ihnen zu ermöglichen, sei es der einmal wöchentlich stattfindende Singkreis unter Leitung einer Rentnerin aus der Nachbarschaft, das gemeinsame Backen von Weihnachts- oder Ostergebäck, Klaviernachmittage auch zum Mitsingen, Sportangebote auch für Bewohner im Rollstuhl, die Kooperation mit einem Kindergarten im Stadtteil mit Vorführungen der Kinder, die den Bewohnern Lebensmut geben und zum Mitmachen anregen, Beteiligung an der Gartenarbeit oder eine sehenswerte Kunstausstellung mit Bildern von Heimbewohnern. Allerdings können diese Initiativen vorhandene schwere Mängel in der Pflege nicht verdecken. Sie zeigen aber auch Möglichkeiten, wie ein Pflegeheim zum „neuen Lebensmittelpunkt“ werden kann, wie es in der Eigenwerbung des Hauses heißt, in dem mein Schwiegervater gelebt hat. Die Unterordnung der Altenpflege – wie überhaupt der gesamten Lebensverhältnisse der Massen – unter das kapitalistische Profitsystem ist das Haupthindernis auf diesem Weg.
Im Sozialismus steht der Mensch und nicht mehr der Profit im Mittelpunkt. Für die Altenpflege heißt das dann, dass einerseits alten Menschen so lang wie möglich bei umfassender Betreuung die Organisation ihres Lebens in ihrer gewohnten Umgebung möglich ist. Andererseits sollen Pflegeheime mitten in Wohngebiete mit intensiven Beziehungen zu anderen sozialen Einrichtungen und Bildungseinrichtungen gebaut werden, Sie müssen so konzipiert werden, dass Bewohner trotz altersbedingter Behinderungen in der Lage sind, sich nach Möglichkeit an der Organisation des gesellschaftlichen Lebens und ihrer eigenen Selbstversorgung im Alltag beteiligen können, etwa an Haushaltsarbeiten oder an der Organisation und aktiven Beteiligung an Kulturveranstaltungen. All diese Aktivitäten sind dann die Regel und nicht einzelne Höhepunkte im sonst tristen Alltag in Pflegeheimen.
Von großer Bedeutung ist im Sozialismus auch die Möglichkeit des Zusammenlebens von Jung und Alt. Schon heute gibt es „Mehrgenerationen“-Wohnanlagen, in denen jüngere Menschen sich um ältere kümmern sollen, ältere dagegen nach Möglichkeit in die Kindererziehung einbezogen werden. Das kann im Sozialismus systematisch ausgebaut werden. Dann besteht für ältere Menschen unter anderem auch die Möglichkeit, ihre Lebenserfahrungen und Erfahrungen beim Aufbau des Sozialismus weiterzugeben.
Die Pflege gebrechlicher Menschen beschränkt sich im Sozialismus nicht mehr auf die notdürftige Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse. Pfleger haben dann genügend Zeit, die tatsächlichen Bedürfnisse der Heimbewohner zu organisieren und ihre verbliebenen Fähigkeiten zu fördern. Das setzt allerdings eine gründliche Ausbildung wie die enge Zusammenarbeit mit behandelnden Ärzten und mit Angehörigen voraus. Dann können die Menschen bis zu ihrem Tode durch kompetentes Pflegepersonal zusammen mit den Angehörigen begleitet werden.
Denn Pflege ist im Sozialismus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und wird nicht auf die Einzelfamilien abgewälzt. Im Gegenteil, die Familienangehörigen, deren Arbeitszeiten mit der Entwicklung der Arbeitsproduktivität verringert werden, haben dann auch die Zeit, mit den Pflegebedürftigen allseitig zu kommunizieren und sie in die kulturellen Aktivitäten einzubeziehen. In der sozialistischen Sowjetunion bis zu ihrer Zerstörung im Jahr 1956 wurden alle sozialen Leistungen vom Staat bzw. den Gewerkschaften aufgebracht: Der Staat der Diktatur des Proletariats „… zahlte vor allem die gesamte ärztliche Betreuung“, berichtete der Journalist Paul Distelbarth von einem Besuch in Russland im Jahr 1953. Er berichtete: „Er (der Staat) trägt die Kosten für Polikliniken, Nachtsanatorien, Krankenhäuser, Sanatorien, Zahnpflege, Entbindungsheime, auch für ärztliche Hausbesuche, wenn solche nötig werden. Er bezahlt ferner die Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenrenten.“ Kranke konnten zur Pflege in Nachtsanatorien eingewiesen werden und tagsüber entweder zu Hause verbringen oder auf Wunsch eine leichte Arbeit verrichten. („Russland heute“ Rowohlt-Verlag, 1954, S. 206, 209 f)
Die Finanzierung einer solchen Altenpflege erfolgt im Sozialismus nach dem Grundsatz, dass der Produzent nach Karl Marx von der Gesellschaft – nach den Abzügen vom gesellschaftlichen Gesamtprodukt – exakt das zurückerhält, „was er ihr gibt“. (Vgl. Karl Marx, „Kritik des Gothaer Programms“ in: Marx/Engels, Ausgewählte Schriften, Bd. II, S. 16, Berlin 1968) Zu diesen Abzügen gehören dann auch Fonds zur Finanzierung einer Altenpflege, die im Sozialismus nicht mehr der Profitmaximierung unterliegt. In dem Maße, wie in der Gesellschaft die Hinterlassenschaften des Kapitalismus im Denken der Menschen beseitigt werden, wie Egoismus, Rücksichtslosigkeit usw., und ein solidarischer Umgang untereinander erkämpft wird, wird auch für alle ein Altern in Würde zur Selbstverständlichkeit werden.
Im Laufe der Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion wurden diese Errungenschaften ab 1956 wieder abgebaut und heute leben viele Alte in Russland unter unwürdigsten Verhältnissen.