Es ist an der Zeit, dass wir unseren eigenen Weg gehen

Bericht über das Europaseminar von ICOR Europa und MLPD vom 1./2. 11. 2012

Statt der erwarteten 800 bis 1.000 waren 1.250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum zweitägigen Europaseminar von ICOR Europa und MLPD in den bis auf den letzten Platz besetzten Saal der Fredenbaumhallen nach Dortmund gekommen. Begrüßt wurden auch 33 internationale Delegationen aus 29 verschiedenen Ländern. Jeroen Toussaint, Hauptkoordinator der ICOR Europa und Mitglied der niederländischen marxistisch-leninistischen Organisation GML/Rode Morgen, legte einleitend dar, dass sich das Seminar den Anspruch gestellt hat, „eine auf die Zukunft gerichtete Strategiedebatte zu entwickeln“, die darauf abzielt, dass „die internationale Revolution gegen das Finanzkapital und der Sozialismus auf der Erde gewinnt … Eine Debatte, die offen ist für jede Weltanschauung – außer dem Faschismus –, die solidarisch und mit gleichen Rechten für jeden geführt wird.“ Er forderte auf: „Werft eure Erfahrungen und eure Leidenschaft in die Diskussion!“ Dieser Anspruch wurde voll und ganz erfüllt. Teilnehmer betonten, dass sie vor allem beeindruckt hat, wie kompetent die einzelnen Beiträge waren und es zugleich verstanden, die konkreten Erfahrungen in den Gesamtzusammenhang des Seminars einzuordnen. Nachdem zu den drei Themenblöcken einleitende Referate durch die Seminarleitung gehalten worden waren, entspann sich jeweils eine intensive Auseinandersetzung. In zahlreichen fundiert analysierten Redebeiträgen wurde die Widersprüchlichkeit deutlich: Vor allem die größten imperialistischen EU-Staaten stehen untereinander in Konkurrenz. Zugleich können sie ihren imperialistischen Machtanspruch gegen andere imperialistische Großmächte wie die USA, Russland, China nur gemeinsam in einem EU-Block verfolgen. Dieser Widerspruch kommt in ständigen Querelen und Zwang zu Kompromissen zum Ausdruck. Die fortschreitende Internationalisierung der Produktion übt einen ökonomischen Zwang zu einem international koordinierten Krisenmanagement aus, das aber an den wachsenden Widersprüchen zwischen den imperialistischen Konkurrenten scheitert. Mehrere Beiträge setzten sich mit der Rolle der EU als weltweite Vorreiterin des Betrugs- und Herrschaftssystems der kleinbürgerlichen Denkweise auseinander, in dessen Mittelpunkt heute die Verbreitung und Förderung einer kleinbürgerlich-antikommunistischen Denkweise gerückt wurde.
Da gab es Redebeiträge zur geplanten Liquidierung des Kohlebergbaus in Europa, zur Rolle der ultrareaktionären Orban-Regierung in Ungarn, zum geplanten Übungsplatz der Bundeswehr in Sachsen-Anhalt für Aufstandsbekämpfung in Städten, zur reaktionären Flüchtlingspolitik der EU, zu illusionären Vorstellungen einer Reformierung der EU unter linken Jugendverbänden, aber auch in den europapolitischen Positionen der Linkspartei und viele, viele Beiträge mehr.
Auf der Basis der ungleichmäßigen Entwicklung des Imperialismus verschärft sich die zwischenimperialistische Rivalität nicht nur auf ökonomischem, sondern auch politischem, militärischem und weltanschaulichem Gebiet.
Ein Schwerpunktthema war auch der Zusammenhang von Weltwirtschaftskrise und Umweltkrise.
Für das Seminar hatten Arbeiter aus Großbetrieben ihre Erfahrungen ebenso ausgewertet wie Aktivisten verschiedenster Bewegungen, z. B. gegen „Stuttgart 21“, Mitglieder und Funktionäre der MLPD, Rebellen und natürlich auch internationale Teilnehmer. Sie behandelten den Zusammenhang zwischen der objektiven wirtschaftlichen und politischen Entwicklung und dem Bewusstsein der Arbeiter und breiten Massen.
Kritisiert wurde eine ökonomistische Tendenz im Einleitungsreferat zum Themenblock II, das die Auswirkungen der allseitigen krisenhaften Entwicklung auf die Lebenslage der Massen unterbelichtete.
Kritisch wurde in der Diskussion zum Block III vertieft, dass die Krise der bürgerlichen Familienordnung und der Kampf um die Befreiung der Frau von der doppelten Ausbeutung und Unterdrückung zu kurz kam.
Ein Höhepunkt des Seminars war der Beitrag von Panagiotis Papanikolau von der Delegation der Stahlarbeiter aus Aspropirgos, die durch ihren mutigen, über 273 Tage geführten Kampf ein Signal der Arbeiteroffensive für ganz Europa gesetzt hatten: „Jetzt sehen wir klarer: Um einen solchen Kampf gewinnen zu können, reicht es nicht, sich auf die internationale Solidarität zu beschränken. Dazu ist eine internationale Organisierung der Kämpfe notwendig.“
Carlos Echague von der PCR Argentinien hob hervor, dass all diese Kämpfe die Frage der politischen Macht und der Vorbereitung der sozialistischen Revolution aufwerfen.
Stefan Engel brachte in einem weiteren Beitrag Klarheit, wie der nationale und internationale Klassenkampf dialektisch zusammenkommen müssen. Der nationale Klassenkampf ist notwendig, um die Machtfrage zu lösen, die im nationalen Rahmen entschieden wird. Das zu ignorieren und nur noch auf den internationalen Klassenkampf zu setzen, wäre ökonomistisch. Den internationalen Klassenkampf brauchen wir, um die Überlegenheit über das imperialistische Weltsystem herzustellen, was von einzelnen Ländern her gar nicht möglich ist.
Mit dieser Perspektive war es nur konsequent, wenn die Abschlussdiskussion des Seminars am Abend des zweiten Tages in einer einstimmig beschlossenen Resolution zum länderübergreifenden Generalstreik am 14. November 2012 mündete. Gemeinsam gegen Werksschließungen und Arbeitsplatzvernichtung in der Autoindustrie, der Stahlindustrie, im Bergbau und anderen Branchen:
„Es ist an der Zeit, dass wir unseren eigenen Weg gehen. Unsere Stärke liegt im Zusammenschluss, in der Organisiertheit! Gewinnen können wir den Kampf nur gemeinsam in ganz Europa und international.“

Klaus Arnecke