Was steckt hinter „Vatileaks“?
Köln (Korrespondenz): Am 6. Oktober 2012 wurde der Ex-Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, zu 18 Monaten Haft verurteilt. Er hatte gestanden, tausende Dokumente aus dem Vorzimmer des Papstes entwendet zu haben. Einen Bruchteil der Dokumente übergab er dem Journalisten Nuzzi, der sie in dem Buch „Seine Heiligkeit“ veröffentlichte. So begann ab Januar 2012 die „Vatileaks“-Affäre des Vatikan (in Anlehnung an die Enthüllungsplattform „Wikileaks“).
Beobachter beurteilten den Prozess, der bereits nach einer Woche zu Ende war, als „Farce“. Vermutet wird ein Deal zwischen dem Vatikan und Gabriele: Der Kammerdiener soll für immer schweigen, der Vatikan andererseits hat ihn nur unter Hausarrest gestellt und will Gabriele weiterbeschäftigen. Was soll hier unter den Teppich gekehrt werden?
Unmut gegen ultrareaktionäre Ausrichtung des Vatikan
Gabriele und „20 Gleichgesinnte“ im Vatikan stehen für eine Strömung, die sich empört gegen die fundamentalistische Politik des Vatikan. Diese hat mit zu einer tiefen Krise der katholischen Weltkirche beigetragen, die die Rolle der Religion als ideologischem Stützpfeiler des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals ins Wanken gebracht hat. Gabriele selbst fing mit der Sammlung von Dokumenten an, nachdem Erzbischof Vigano in die USA abgeschoben wurde, nachdem er die Korruption und Verschwendung im Vatikan mehrmals angeprangert hatte.
Motivation von Gabriele und Nuzzi ist, durch die Enthüllungen den Vatikan und Papst Benedikt wachzurütteln. Doch das ist eine Illusion, denn Papst Benedikt alias Joseph Ratzinger ist wie sein Vorgänger Johannes Paul II. der oberste Akteur dieser erzreaktionären Politik. Er hält an seinem mittelalterlichen Weltbild fest, an der Unterdrückung der Frau in Kirche und Gesellschaft sowie am Bündnis mit ultrareaktionären Kirchenvereinigungen wie „Opus Dei“ und „Comunione e Liberazione“. Das faschistoide „Opus Dei“ hat mittlerweile die wichtigsten Posten im Vatikan mit seinen Vertretern besetzt und betreibt mit Ratzinger weltweit die Absetzung basisorientierter katholischer Organisationen und Priester. Ratzinger und sein Handlanger Kardinal Bertone waren es auch, die das katholische Sonderrecht durchsetzten, wonach bis heute allein der
Vatikan entscheidet, ob und wann der Name von priesterlichen Kinderschändern an staatliche Behörden weitergegeben werden. Der Zweck dieser verbrecherischen Vorschrift ist die Aufrechterhaltung des unmenschlichen Zölibats.
Geldwäsche bei der Vatikanbank
Die Empörung über verbrecherische Finanzaktionen der Vatikanbank (IOR) ist ein wichtiger Teil der „Vatileaks“-Affäre. Im September 2010 beschlagnahmt die italienische Staatsanwaltschaft 23 Millionen Euro der Vatikanbank bei der Bank Credito Artigiano. Seit den 1930er Jahren gibt es enge Verbindungen zur Mafia, die über die Vatikanbank Millionen „wäscht“. Immer wieder war das IOR wegen Geldwäsche, Drogendeals und Mord an geständigen IOR-Managern in den Schlagzeilen. Der Journalist Nuzzi konnte dies mit Dokumenten nachweisen, die ihm von dem hochrangigen Vatikanpriester Dardozzi nach dessen Tod zugespielt wurden. Daraufhin wurde Gotti Tedesci als IOR-Präsident eingesetzt. Obwohl selbst Mitglied im reaktionären „Opus Dei“, bekam der eifrige Tedesci bald Gegenwind aus dem Vatikan und wurde im Mai 2012 abgesetzt. Er „fürchtet um sein Leben“ und schrieb als „Lebensversicherung“ ein 200-Seiten-Memorandum. Mittlerweile wurde Ronaldo Hermans, IOR-Vertreter der Deutschen Bank, als Interimspräsident der Vatikanbank eingesetzt. Um endlich vom Image der Mafia- und Geldwäsche-Bank loszukommen, wurde kurz vor dem „Vatileaks“-Prozess der Schweizer Anti-Geldwäsche-Spezialist Brülhart eingestellt.
Christliche und islamische Fundamentalisten
Gabriele hat ein Dokument an den Journalisten Nuzzi gegeben, wonach der iranische Ajatollah Moghtadai für den Januar 2012 um eine vertrauliche Audienz beim Papst bittet. Daraus geht nicht hervor, ob sie stattgefunden hat oder nicht. Das „Time Magazine“ vom 26. 11. 2007 enthüllte jedoch die intensiven Beziehungen des Iran zum Vatikan. Danach finden monatliche Treffen mit iranischen Diplomaten und vatikanischen Kurienvertretern statt, ebenso „inoffizielle Diskussionen“ in Restaurants und Cafés in Rom. In einer Erklärung des Vatikans und iranischer Geistlicher aus dem Jahr 2008 wird betont, dass man in der „gemeinsamen Förderung wahrer Religiosität“ fortfahren will. Unter „wahrer Religiosität“ wird dabei nur die jeweilige fundamentalistische Ausprägung des Christentums und des Islams verstanden. Dieser fundamentalistischen Zusammenarbeit entspricht, dass sich prominente Berater des US-Imperialismus wie Zbigniew Brzezinski für eine Renaissance (Wiedergeburt – Anm. der Red.) des Christentums und des Islams aussprechen, um dem „rapiden Zerfall nahezu aller anerkannten Werte vor allem in den Industriestaaten“ zu begegnen („Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“, S. 251).