IWF schlägt Alarm: EU-Krise kann Weltwirtschaft in neuen Abgrund reißen
Zur jährlichen Herbsttagung von Weltbank und IWF (Internationaler Weltwährungsfonds), die in diesem Jahr in Tokio stattfand, wurden Alarmglocken geläutet. „Eine weitere Verschlimmerung der Euro-Schuldenkrise ist das größte Risiko für die globale Finanzstabilität“, heißt es in einem offiziellen Dokument mit dem schönen Namen „Finanzstabilitätsbericht“. Das „Vertrauen ins Weltfinanzsystem sei wegen Europa brüchig geworden“, ließ IWF-Chefin Christine Lagarde mahnend verlauten. Von Stabilität aber ist das internationale Finanzsystem seit Beginn der Weltwirtschafts- und Finanzkrise im Herbst 2008 weiter entfernt denn je. Zumindest in der Nachkriegsgeschichte wurde das Vertrauen in dieses kapitalistische Herrschaftssystem von den Massen rund um den Globus noch nie so infrage gestellt wie gegenwärtig.
Es geht bei den Risiken eines erneuten Einbruchs in dieser tiefsten und umfassendsten Weltwirtschaftskrise des Kapitalismus auch keineswegs nur um Staatsschulden oder die Euro-Krise, die sich längst zur EU-Krise ausgeweitet hat.
Mit 107 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung ist die USA sogar deutlich stärker verschuldet als die Länder der Euro-Zone, bei denen der Schuldenstand bei 83,4 Prozent liegt. Die japanische Staatsverschuldung liegt sogar bei schwindelerregenden 237 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts.
Die hohe Staatsverschuldung ist der Preis für das internationale Krisenmanagement, mit dem ein bodenloser Absturz des Weltfinanzsystems und der Weltwirtschaft zunächst abgebremst werden konnte. Von den Unsummen von „Rettungsschirmen“ und Konjunkturprogrammen profitierte vor allem der Großteil der 500 weltweit größten Banken, Industrie- und Agrarkonzerne. Ihre Umsätze und Profite überstiegen sogar ziemlich schnell wieder den Vorkrisenstand. Ganz anders sieht es bei den kleineren Monopolen und erst recht bei nationalen Konzernen aus. Abgewälzt werden die Lasten auf die Massen. Weltweit sind heute 30 Millionen Menschen mehr arbeitslos als vor Krisenbeginn. Lohndrückerei, gesteigerte Ausbeutung und rigoroser Abbau sozialer Leistungen prägen die Politik.
In Griechenland, Spanien, Italien, Frankreich gehen Hunderttausende, bei Höhepunkten sogar Millionen dagegen auf die Straße, vorn dran steht die Jugend – und mehr und mehr auch ein kampfentschlossenes Industrieproletariat. Lange Zeit glaubten die Herrschenden, sie könnten sich auf die sprichwörtliche Geduld der Portugiesen verlassen. Jetzt wurden sie eines Besseren belehrt: In einer anschwellenden Kette von Massendemonstrationen demonstrierten allein an einem Tag eine Million Portugiesen.
Krise nicht beendet
Das internationale Krisenmanagement, mit dem die mächtigsten Länder der Welt vor allem den Übergang in eine revolutionäre Weltkrise verhindern wollten, hat Milliardenbeträge locker gemacht. Der Absturz wurde tatsächlich abgebremst, was bürgerliche Ökonomen schon als das Ende der Krise oder gar einen neuen Aufschwung feierten. Jetzt wird aber immer deutlicher: Beendet wurde die Weltwirtschaftskrise damit nicht. Im Gegenteil, die chronische Überakkumulation des Kapitals und die Spekulation treiben neue Blüten. Der relativen Belebung in einigen Ländern – auch in Deutschland – geht schon wieder die Puste aus. Auch die sogenannten BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika –, die zunächst auch in der Krise hohe Wachstumsraten hatten, schwächeln mittlerweile.
Schon seit Sommer 2011 verstärken sich die negativen Tendenzen in der Weltwirtschaft bei einer zunehmend ungleichmäßigen Entwicklung. Momentan nehmen auch in Deutschland die Auftragseingänge ab. Allein die deutsche Pkw-Produktion ging im September um 16 Prozent zurück, Kurzarbeit und Minusstunden sind vielfach wieder angesagt, Insolvenzen und Entlassungen häufen sich.
Der Grund, warum sich die Sorgen des allein herrschenden Finanzkapitals zurzeit besonders um Europa drehen, sind die Zweifel, ob die europäischen Regierungen die EU-Krise jemals unter Kontrolle bekommen.
Eine Staatspleite von Griechenland – und anschließend womöglich von Portugal, Irland, Spanien und Italien – ein Rausschmiss von Griechenland aus dem Euro-Raum kann eine Auflösung der Euro-Zone bis hin zum Auseinanderbrechen der EU nach sich ziehen.
Für die in Europa ansässigen internationalen Monopole und die führenden imperialistischen Länder Deutschland und Frankreich würde das ein schwerer Rückfall im internationalen Konkurrenzkampf bedeuten. Und das träfe nicht Europa allein. Angesichts des weltwirtschaftlichen Gewichts Europas mit einem Anteil von einem Drittel am Welthandel, einem Viertel am weltweiten Sozialprodukt und von über 40 Prozent am Weltkapitalexport lässt sich ein wirtschaftlicher Kollaps wird eine negative Entwicklung Europas zum Sprengsatz für die gesamte Weltwirtschaft.
„Der Sturm auf den Weltfinanzmärkten ist endlich ein wenig abgeflaut. Bei einem Euro-Austritt der Griechen würde er sich sofort in einen Tornado verwandeln und schlimmer wüten denn je“, heißt es in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 12. 10. 2012. Die größten der in Europa ansässigen internationalen Übermonopole sehen deshalb keine Alternative zur Rettung des Euro.
Merkel und Schäuble lenken ein
Das konnten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht länger ignorieren. Geradezu selbstkritisch gestanden sie ein, bisher zu sehr auf die „Selbstheilungskräfte der Wirtschaft“ gesetzt zu haben. Das hatte die MLPD schon längst prophezeit. Ihr Vorsitzender Stefan Engel schrieb bereits im Mai 2009 in der Broschüre „Bürgerliche politische Ökonomie vor dem Scherbenhaufen:
„Als die Weltwirtschafts- und Finanzkrise von niemandem mehr geleugnet werden konnte, folgte der Selbstgefälligkeit der Selbstbetrug. Hilflos versuchte sich Kanzlerin Angela Merkel in tautologischen (1) Weisheiten: ,Die Selbstheilungskräfte des Marktes können erst wieder voll wirken, wenn die Marktkräfte auch wirklich funktionieren.‘ (2)
Kann sich der Markt nun selbst heilen oder funktionieren die Selbstheilungskräfte nur, wenn er gar keiner Heilung bedarf? Von entsprechend hochkarätiger Logik der Kanzlerin sind auch ihre Schlussfolgerungen beseelt:
,Wenn zum Beispiel ein gesundes Unternehmen mit Weltmarktführung für seine Investitionen heute keine Kredite bekommt oder nur Kredite zu Konditionen, die ein rentables Wirtschaften nicht mehr möglich machen, weil die Banken sich untereinander noch nicht richtig vertrauen, dann muss der Markt – das ist unsere politische Aufgabe – wieder funktionstüchtig gemacht werden.‘ (2)
Jetzt ist es heraus: Die Selbstheilungskräfte des Marktes funktionieren nicht, weil das Finanzkapital nicht mehr in die eigene kapitalistische Wirtschaftsordnung ,vertraut‘ und die Banken deshalb niemandem mehr einen Kredit vergeben! Also muss der Staat eingreifen. Zum Teufel also mit den ,Selbstheilungskräften des Marktes‘!
Der Anschauungsunterricht dieser beispiellosen kapitalistischen Weltwirtschafts- und Finanzkrise ist – bei allen zerstörerischen Auswirkungen auf die Massen – von unschätzbarem Wert, weil er den Massen vor Augen führt, wie hohl die bürgerliche politische Ökonomie argumentiert. Die Menschen werden nicht vergessen: Es ist gerade nicht der ,Markt‘, es ist gerade nicht die Befriedigung ihrer ureigenen Bedürfnisse, die die kapitalistische Produktionsmaschinerie vorantreibt, sondern die grenzenlose Gier des internationalen Finanzkapitals nach Maximalprofiten.“ (S. 12/13)
Bis zum IWF/Weltbankgipfel hatten Merkel und Schäuble den Drohungen gegenüber Griechenland vor allem aus den Reihen ihres Koalitionspartners CSU freien Lauf gelassen. Die hatten ständig mit einem Rausschmiss Griechenlands gedroht. Hinter ihnen stehen offenbar auch kleinere Monopole und Betriebe, die die Risiken fürchten. Damit wurde die griechische Regierung erpresst, immer rabiatere Einschnitte bei Renten, Löhnen, Gehältern im öffentlichen Dienst, Steuererhöhungen und Kürzungen im Gesundheits- und Bildungswesen durchzuboxen.
Jetzt erklärte Schäuble, man wolle Griechenland auf jeden Fall vor einem Staatsbankrott bewahren und es im Euro-Raum halten – die Vorgaben müsse es trotzdem einhalten.
Das Programm für diesen nun auch offiziellen Kurswechsel ist kostspielig und riskant. Eine Bankenunion wird forciert, womit auch die kleine Sparkasse für die Spekulationsgeschäfte der Großbanken haftet. Die Übernahme von noch mehr maroden Staatsanleihen durch die europäische Zentralbank wird ungeahnte Folgen haben, nicht zuletzt in Bezug auf eine drohende Inflation.
Welche Perspektive haben die Völker Europas?
Zu diesem Programm heißt es vom IWF: „… doch ist es bedeutenden Risiken ausgesetzt, die mit politischen Faktoren und seiner Umsetzung zusammenhängen.“ Zu Deutsch: Die Schwäche der EU liegt in den inneren Widersprüchen, in der Tatsache, dass die stärksten imperialistischen Mächte über die nationalen Interessen der kleineren Länder wie mit einer Dampfwalze hinweggehen. Schäuble will jetzt sogar einen EU-Währungskommissar einsetzen, der in blanker Machtvollkommenheit sogar das Recht bekommen soll, einen bereits vom jeweiligen Parlament verabschiedeten Haushalt zu kippen. Das schürt die Widersprüche untereinander.
Vor allem aber liegen die „bedeutenden politischen Risiken“ im Aufschwung der Massenkämpfe gegen die Abwälzung der Krisenlasten und in ihrer immer engeren Koordinierung und Revolutionierung. Dafür setzen sich die in der ICOR zusammengeschlossenen revolutionären und marxistisch-leninistischen Organisationen und Parteien ein.
Eine Perspektive für die Völker Europas kann es nur als Teil vereinigter sozialistischer Staaten der Welt geben.
Anna Bartholomé
(1) tautologisch: einen Sachverhalt doppelt wiedergebend
(2) Regierungserklärung vom 14. 1. 2009