Altersarmut – Armutszeugnis des Kapitalismus
Die sich für die Zukunft abzeichnende massenhafte Altersarmut schlägt hohe Wellen. Vor allem in den Betrieben und Verwaltungen gibt es darüber erregte Diskussionen.
Junge und ältere Beschäftigte sind empört: nach einem harten Arbeitsleben wartet auf viele eine Rente auf dem Niveau der Grundsicherung (rund 600 Euro) oder noch darunter. Nach Berechnungen des Arbeitsministeriums trifft das für alle Beschäftigten zu, die weniger als 2.500 Euro brutto im Monat verdienen, also auf jede(n) dritte(n) Beschäftigte(n) – und selbst die müssen 35 Jahre lang dafür arbeiten! Jahrzehntelang wurde mit dem Spruch des früheren Arbeitsministers Norbert Blüm (CDU) „Die Rente ist sicher“ die Vorstellung bestärkt, als könne es unter den heutigen kapitalistischen Verhältnissen ein einigermaßen annehmbares Auskommen für die meisten Menschen im Alter geben. Sie sollte vom Kampf für den Sozialismus abhalten und war eine Grundlage der jahrzehntelangen relativen Stabilität des Kapitalismus in Deutschland. Diese Hoffnung kann sich die Masse der Arbeiter und Angestellten für die Zukunft abschminken. Nicht zu ertragen ist die Heuchelei der „Großen Koalition“ aus CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen, die sich in der angeblichen Sorge um das Problem der Altersarmut gegenseitig überbieten. Dabei sind sie es, die in den unterschiedlichen Regierungskoalitionen der letzten Jahrzehnte dafür verantwortlich waren: mit der Politik des Ausdehnung des Niedriglohnbereichs und der Unterbeschäftigung, der Förderung der Arbeitsplatzvernichtung und der systematischen Rentenkürzungen.
Während die Scharfmacher von der FDP diese Richtung ohne Abstriche weiter durchziehen wollen, versucht Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit ihrer „Zusatzrente“ die Wogen zu glätten. Sie will Niedrigrenten damit auf bis zu 850 Euro aufstocken, aber nur, wenn die Antragssteller 40 Versicherungsjahre und 30 Beitragsjahre vorweisen können (ab 2023 sogar 45 Versicherungsjahre und 35 Beitragsjahre sowie ab 2019 eine abgeschlossene privaten Altersvorsorge). In der 3,8-Millionenstadt Berlin würden momentan ganze 850 Menschen in den „Genuss“ einer solchen Zusatzrente kommen. Damit sollen die Leute regelrecht dazu gezwungen werden, zusätzliche private Versicherungen abzuschließen, obwohl sich immer weniger dies leisten können.
Finanzieren will von der Leyen das aus der gesetzlichen Rentenversicherung, in die die Beitragszahler ab dem 1. 1. 2013 nur noch 19,0 statt bisher 19,6 Prozent vom Bruttolohn einzahlen müssen. Dadurch erhält ein Arbeiter mit 30.000 Euro Bruttolohn netto 180 Euro mehr pro Jahr. Eine private Zusatzversicherung kostet schon pro Monat im Schnitt fast das Doppelte. Die Unternehmerprofite steigen durch die Beitragssenkung im Gegenzug um 2,7 Milliarden Euro jährlich.
Dazu gibt es allerdings auch innerhalb der CDU/CSU Widersprüche. Einem Teil gehen selbst diese Zugeständnisse zu weit, ein anderer Teil fürchtet, dass die Mogelpackung von den Massen abgelehnt wird und im Vorfeld der Bundestagswahlen erst recht Wählerstimmen kosten könnte.
„Rentenretter“ Gabriel
Die Vorschläge von SPD-Chef Sigmar Gabriel sind nicht besser. Er will seine „Solidar-Rente“ von ebenfalls 850 Euro daran koppeln, dass die Beschäftigten zwei Prozent ihres Einkommens zusätzlich für Betriebsrenten zahlen. Das soll dann vom Staat mit 300 Euro jährlich aufgestockt werden. Das ist nichts anderes als staatlich geförderter Lohnabbau. Dem 30.000 Euro brutto verdienenden Arbeiter fehlen dadurch weitere 600 Euro vom Nettolohn, während die Unternehmer nach Gabriels Vorstellungen keinen Cent zusätzlich zahlen sollen. Damit verfolgt seine „Solidar-Rente“ die gleiche Grundrichtung der weiteren Zerschlagung der paritätischen Finanzierung der Rentenversicherung.
Vor allem sind sich die führenden Vertreter der Monopolparteien darin einig, an den Hartz-Gesetzen und Rentenbeschlüsse festzuhalten, die die zu erwartende Massenarmut verursachen. Die MLPD und viele andere fortschrittlichen Kräfte haben von Anfang an kritisiert, dass diese Politik auf massenhafte Verarmung hinauslaufen wird. Es ist die bundesweite Montagsdemonstration, die seit acht Jahren unermüdlich dagegen den Kampf führt und dafür jetzt zu ihrer bundesweiten Herbstdemonstration am 6. Oktober in Berlin mobilisiert.
Was ist der Hintergrund der Rentenpolitik?
Die europäischen Monopolverbände und ihre jeweiligen Regierungen koordinieren diese Politik europaweit. Alle von der EU diktierten Krisenprogramme enthalten als wesentlichen Kern die Angriffe auf die gesetzliche Rentenversicherung, zur Heraufsetzung des Rentenalters und zur schrittweisen Privatisierung der Altersversorgung. Die private Alters-, Kranken- und Pflegeversicherung ist seit Jahrzehnten ein zentrales Anliegen des Finanzkapitals.
Die Entwicklung in anderen europäischen Ländern wie Griechenland, Portugal oder Spanien gibt einen Vorgeschmack darauf, mit welchen sozialen Folgen die Massen rechnen müssen, wenn es nach dem Willen des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals geht. In all diesen Ländern gibt es aber auch einen erbitterten Widerstand gegen die Rentenpläne und die gesamten Krisenprogramme. In Athen demonstrierten am 4. September hunderte wütende Rentner vor dem Gesundheitsministerium, nachdem Millionen Versicherte der größten griechischen Krankenkasse die Medikamente in den Apotheken selbst bezahlen sollen. Nachdem der Gesundheitsminister sie auch noch als „Schufte“ bezeichnete, besetzten sie kurzerhand zeitweilig sein Büro. Der Widerstand gegen die koordinierten Rentenpläne steht auch im Zentrum vieler gewerkschaftlicher Aktionen.
Das Schreckgespenst vom „demografischen Wandel“
In den zahlreichen Diskussionen über die Rentenpolitik wird von den bürgerlichen „Experten“ immer wieder der sogenannte „demographische Wandel“ angeführt, der die Senkung des Rentenniveaus und die Heraufsetzung des Rentealters „alternativlos“ mache. Dass immer weniger Arbeiter und Angestellte die Finanzierung des Lebensunterhalts einer gleichzeitig wachsenden Zahl von Rentnern schultern müssen, sei eben nur mit Rentenkürzungen und einer zunehmenden Privatisierung des Rentensystems zu machen. Jüngere und ältere Arbeiter sollen damit gegeneinander ausgespielt und in Konkurrenz getrieben werden.
Der Begriff „demographischer Wandel“ lenkt jedoch von der Ursache der veränderten Alterspyramide (mehr Ältere im Vergleich zu jüngeren Menschen) ab. Dazu analysiert das Buch „Neue Perspektiven für die Befreiung der Frau – eine Streitschrift“: „Mit dem Aufkommen der Massenarbeitslosigkeit als Dauererscheinung seit 1975 und der Wende zum Abbau sozialer Reformen Anfang der 80er Jahre schwand unwiederbringlich die materielle Grundlage für die Entstehung und Aufrechterhaltung kleinbürgerlicher Familienverhältnisse unter den breiten Massen. Seit Anfang der 70er Jahre ist die soziale und biologische Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft durch die bürgerliche Familienordnung in eine chronische Krise geraten.“ (S. 110/111) Ein wesentliches Kennzeichen dieser chronischen Krise ist die zunehmende Diskrepanz von Geburten- und Sterberate. So lagen die Sterbefälle 2011 in Deutschland mit 852.000 bereits wesentlich höher als die Geburtenzahl mit 663.000. Und die Zahl der Geburten sank 2011 um weitere 2,2 Prozent.
Vor allem lenkt der Begriff des „demografischen Wandels“ völlig davon ab, dass die sprunghaft gestiegene Arbeitsproduktivität dennoch die Finanzierung einer wachsenden Zahl von Rentnern ohne Probleme möglich macht, auch ohne dass diese den Jüngeren zur Last fallen. Seit 1990 stieg die Arbeitsproduktivität der Industriebeschäftigten um 200 Prozent. Der Anteil der 60- bis 80-Jährigen an der Gesamtbevölkerung nahm in der gleichen Zeit gerade mal um 28 Prozent zu (von 16,6 auf 21,2 Prozent). Die offiziellen Profite der 500 größten internationalen Monopole explodierten dagegen seit 1990 um mehr als 900 Prozent. Die Arbeiter und Angestellten produzieren im Lauf ihres Arbeitslebens das Mehrfache an Mitteln, um jedem Rentner ein würdiges Alterseinkommen zu gewährleisten. Die Propaganda von der angeblichen „Überalterung der Gesellschaft“ suggeriert dagegen, dass die Rentner der Allgemeinheit „zur Last“ fallen.
Wer lebt hier auf wessen Kosten?
Es sind die Arbeiter und werktätigen Massen, die den gesellschaftlichen Reichtum schaffen. Sie bekommen nur einen kleinen Teil davon in Form ihres Lohns (oder Gehalts) ausgezahlt. Es ist eine Frechheit, wenn ausgerechnet die Profiteure dieser Ausbeutung und ihre „Experten“ nun die Rentner, die ihr Leben lang gearbeitet haben, zur „Last“ erklären. Es ist genau umgekehrt. Den breiten Massen fallen der Kapitalismus und das allein herrschende internationale Finanzkapital immer mehr zur Last. Sie leben in jeder Beziehung schmarotzend auf Kosten der großen Mehrheit der Weltbevölkerung. Wenn der Kapitalismus auch in der Altersfrage immer deutlicher macht, dass er für uns keine Zukunft zu bieten hat, ist das ein weiterer Grund, den Kampf für den Sozialismus aufzunehmen.
Es ist zweifellos heute schon notwendig, die Renten- und Hartz-Gesetze entschieden zu bekämpfen. Die MLPD fordert dazu die Verkürzung der Lebensarbeitszeit auf 60 Jahre für Männer und 55 Jahre für Frauen – bei vollem Rentenausgleich. Sie fordert die Anhebung des Rentensatzes auf den Stand vor der Agenda 2010, das sind 67 Prozent des letzten Einkommens sowie eine Mindestrente. Zur Finanzierung macht die MLPD den Vorschlag, eine neue Sozialsteuer von 6 Prozent einzuführen, die ausschließlich von den Unternehmern zu errichten ist. Diese Sozialsteuer kann alle bisherigen Sozialversicherungen ablösen und die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung abdecken. Ihr Aufkommen soll nicht an der Betriebsgröße bzw. der Beschäftigtenzahl wie derzeit bemessen werden, sondern nach dem jeweiligen Umsatz. Dadurch werden Monopole und Banken wesentlich stärker zur Kasse gebeten, die kleinen und mittleren Unternehmen dagegen entlastet. Diese Forderung schließt die Abschaffung des ganzen Systems der Hartz-Gesetze eine, das schließlich wesentlich zu Lohnabbau und Rentensenkung in Deutschland beigetragen hat.
Es kommt allerdings darauf an, den Kampf dafür als Schule des Klassenkampfs zu führen. Um dem Übel an die Wurzel zu gehen, brauchen wir sozialistische Arbeits- und Lebensverhältnisse, in denen der gesellschaftliche Reichtum denen zugute kommt, die ihn erarbeiten.