Denkmal für einen Oberhenker
Putin setzt sich für die Ehrung eines berüchtigten Konterrevolutionärs ein
Solingen (Korrespondenz): Auf Beschluss des Moskauer Stadtrats wird auf dem Gelände des Kreml anlässlich seines 150. Geburtstags im September ein Denkmal für Pjotr Stolypin errichtet. Dies geschieht auf Betreiben von Putin, der Stolypin einen „echten Patrioten und weisen Politiker“ nennt und als ein Vorbild für seine Politik betrachtet. Zur Finanzierung des Denkmals sollen alle Kabinettsmitglieder Putins ein Monatsgehalt spenden. Ebenso wurde bereits vor Jahren auf Betreiben Putins die „Stolypin-Medaille“ auserkoren, die an Beamte und Minister verliehen wird. („Spiegel“ Geschichte, Nr. 1/2012, S. 122)
Wer war Stolypin?
Während der ersten russischen Revolution (1905–1907) hatte sich das russische Volk eine Reihe demokratischer Rechte erkämpft, ohne dass aber der Zarismus gestürzt wurde. Im Juli 1906 wurde Stolypin von Zar Nikolai II. zum Premierminister ernannt. Im Auftrag des Zaren jagte er mit einem Staatsstreich am 3. Juni 1907 die bereits stark eingeschränkte II. Duma (russisches Parlament) auseinander. Die 65 Abgeordneten der sozialdemokratischen Duma-Fraktion wurden direkt nach Sibirien verbannt. Die Revolution erlitt eine Niederlage.
„Der zaristische Minister Stolypin entfaltete sein blutiges Henkerwerk gegen die Arbeiter und Bauern. Tausende revolutionäre Arbeiter und Bauern wurden von den Strafexpeditionen erschossen bzw. gehängt. In den zaristischen Kerkern wurden die Revolutionäre mißhandelt und gefoltert. Besonders grausamen Verfolgungen waren die Arbeiterorganisationen, in erster Linie die Bolschewiki, ausgesetzt … Die schweren Jahre der Stolypinschen Reaktion brachen an.“ („Geschichte der KPdSU(B)“, S. 111)
Der Zar und Stolypin stützten sich vor allem auf die Partei der „Schwarzhunderter“:
„Die Rechten … waren die Vertreter der schlimmsten Feinde der Arbeiter und Bauern, die Vertreter der erzreaktionären Gutsbesitzer und Fronherren, die bei der Unterdrückung der Bauernbewegung unter den Bauern Massenauspeitschungen und Metzeleien veranstalteten, sie waren die Organisatoren der Judenpogrome, der Niederknüppelung proletarischer Demonstrationen, der bestialischen Niederbrennung von Gebäuden, in denen in den Tagen der Revolution Meetings stattfanden … Der Terror der Schwarzhunderter raste zügellos. Der zaristische Minister Stolypin bedeckte das Land mit Galgen. Es wurden mehrere tausend Revolutionäre hingerichtet. Man nannte den Strang damals ,Stolypin-Krawatte‘.“(ebenda, S. 117 und S. 118)
Lenin bezeichnete Stolypin in seinem „Nachruf“ als Oberhenker, dessen Leben eine genaue Widerspiegelung und Ausdruck der Lebensbedingungen der Zarenmonarchie ist. („Spiegel“ Geschichte, ebenda)
Durch Stolypins Bodengesetz von 1906 wurde die gemeinsame bäuerliche Bodennutzung durch die Dorfgemeinschaften vernichtet. Die Bauern konnten ihren Anteil am Gemeinschaftsland verkaufen und an anderer Stelle Land privat erwerben. Dadurch konnten die reichen Bauern (Kulaken) auf Kosten der wirtschaftlich schwachen Bauern Land anhäufen, während Millionen Kleinbauern vollständig ruiniert und vertrieben wurden.
Stolypins „Reform“ förderte objektiv die Anbindung der Kulaken an die herrschende Gesellschaftsordnung. Gleichzeitig wurden aber Bedingungen geschaffen, um das Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Kleinbauern zu stärken. Dies hatte große Bedeutung für den späteren Sieg der Oktoberrevolution 1917 und im anschließenden Bürgerkrieg.
Stolypin genießt vermutlich besonders deshalb eine Vorbildfunktion für Putin, weil er die imperialistische Entwicklung Russlands vorantrieb, zunächst durch verstärkten Warenexport und die Durchdringung der Volkswirtschaft mit ausländischem Kapital.
„Dies fand seinen Ausdruck in den knechtenden Auslandsanleihen, für deren Zinsendienst des Zarismus alljährlich aus der Bevölkerung viele hundert Millionen Rubel herauspreßte. Dies fand seinen Ausdruck in den Geheimverträgen mit den ,Verbündeten‘, in denen sich der Zarismus verpflichtete, im Kriegsfalle für die imperialistischen Fronten Millionen russischer Soldaten zu stellen zur Unterstützung der ,Verbündeten‘ und zur Sicherstellung der wahnsinnigen Profite der englisch-französischen Kapitalisten …
Die Fabrikanten führten Massenentlassungen von Arbeitern (Aussperrungen) durch, legten ,schwarze Listen‘ an, in die die klassenbewußten Arbeiter, die an Streiks aktiv teilgenommen hatten, eingetragen wurden … Die Lohnsätze wurden schon 1908 um 10 bis 15 Prozent gesenkt. Der Arbeitstag wurde überall auf 10 bis 12 Stunden verlängert. Das System räuberischer Geldstrafen blühte neuerlich auf.“ („Geschichte der KPdSU(B)“ , S. 121)
Am 14. September 1911 wurde der Massenmörder Stolypin vom Sozialrevolutionär Bogrow erschossen. Dieser hatte enge Kontakte zu dem berüchtigten Geheimdienst „Ochrana“. Der Mord wurde den Bolschewiki um Lenin in die Schuhe geschoben. So diente er auch in seinem Tod, nachdem er von den Herrschenden nicht mehr gebraucht wurde, der antikommunistischen Hetze.
In der Periode der Stolypinschen Reaktion bis 1912 wurde die Arbeiterklasse zunächst zum Rückzug gezwungen. Doch die Bolschewiki siegten über das Liquidatorentum, nutzten die wenigen verbliebenen Möglichkeiten der legalen Arbeit aus. Die Bolschewiki trennten sich endgültig von den Reformisten und formierten sich (im Unterschied zu Deutschland) zu einer selbständigen marxistischen Partei – eine Grundvoraussetzung für die späteren Erfolge in der Revolution. Lenin verfasste 1908/ 1909 in den Jahren der Reaktion sein bis heute grundlegendes Werk „Materialismus und Empiriokritizismus“. Es war eine prinzipielle weltanschauliche Kritik an kleinbürgerlichen und bürgerlichen Revolutionären, die vor der Reaktion kapitulierten und versuchten, das mit weltanschaulichem Idealismus zu rechtfertigen. Sie beklagten wehleidig, das Volk habe „Gott verloren“ und müsse ihn wiederfinden.
Das Volk wählte einen anderen Weg: Das revolutionäre Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Kleinbauern wurde gestärkt und ab 1912 kam es zu einem neuen Aufschwung der Arbeiterbewegung.
Was Putin an Stolypin hochhält
Wenn die strammen Antikommunisten aus der „Spiegel“-Redaktion Stolypin würdigen und seine heuchlerischen Reden nachträglich veröffentlichen, darf das nicht verwundern. Ebensowenig überraschend ist es, wenn Putin Stolypin hochhält und als „großen Reformer“ bezeichnet. Wenn allerdings manche Mitglieder der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP) dem russischen Imperialismus unter Putin irgendeine „fortschrittliche Seite“ abgewinnen wollen, ist dies doch erstaunlich.