„Dieser Krieg wird um Ressourcen geführt“
Interview mit dem pakistanischen Gewerkschaftsvorsitzenden Nasir Gulzar über den Krieg gegen Afghanistan und die Auswirkungen für Pakistan
Eine deutsche Reisegruppe hatte die Gelegenheit, sich ein Bild von der Lage in Pakistan zu machen und mit den Menschen zu sprechen. In diesem Zusammenhang entstand das folgende Interview mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft „All Pakistan Trade Union Federation“, Nasir Gulzar.
Nasir, bitte stell dich erst einmal vor.
Mein Name ist Nasir Gulzar. Ich bin Vorsitzender der Gewerkschaft „All Pakistan Trade Union Federation“.
Pakistan gilt bei uns in den Medien als „Rückzugsgebiet von Terroristen“, gegen die Krieg in Afghanistan geführt werde. Wie seht ihr das?
Erstens möchte ich sagen, dass das pakistanische Volk niemals Terrorismus in irgendeiner Form unterstützt hat. Weder den Terrorismus der Taliban noch irgend einen anderen Terrorismus.
Zweitens ist die Art und Weise, wie die Medien Pakistan darstellen, nicht richtig. Es stimmt nicht, dass Terroristen oder die Taliban, die nach Pakistan kommen, dort von den Pakistani allgemein unterstützt werden. Es ist auch nicht richtig, dass sich alle Terroristen nach Pakistan zurückziehen, auch wenn einige Institutionen sie in der Vergangenheit unterstützt haben. Tatsache ist jedoch, dass die Terroristen und die Taliban von den USA und den Imperialisten gezüchtet wurden.
Auch ist eine Tatsache, dass sich nach dem 11. September 2001 viel verändert hat. Davor wurden die Mudschahedin von den USA gefördert, weil sie ihnen nützlich gegen die Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion waren und dagegen gekämpft haben.
Jetzt sind daraus entstandene Kräfte nicht nur zu Gegnern für die USA geworden, sondern sie richten sich vor allem gegen linke Kräfte und das pakistanische Volk. Als Arbeiter denke ich, dass im Krieg in Afghanistan, der jetzt auch auf Pakistan ausgeweitet wird, alle imperialistischen Kräfte ihre eigenen Ziele verfolgen.
Alle Geheimdienste haben ihre Finger im Spiel und arbeiten dort für ihre eigenen Interessen und Pakistan leidet extrem darunter.
Was bedeutet die Einbeziehung Pakistans für die Massen?
Erstens kritisieren wir jede Form der Einmischung irgendeines Landes in die Belange eines anderen Volkes, egal ob sie von den USA oder der Nato kommt oder von Pakistan oder Indien. Wir glauben, dass die instabile Situation in Pakistan, sowohl politisch als auch ökonomisch, von der Einmischung Pakistans in den sogenannten Krieg gegen den Terror kommt. Es hat uns tief in die Krise geführt und die Lage für die Massen und Arbeiter enorm verschlechtert. Deswegen haben wir diesen Krieg auch immer kritisiert. Wir sind der Meinung, dass die Präsenz der Nato nicht gut für die Arbeiter und Massen ist und mit dem Krieg in Afghanistan auch versucht wird, die linke Bewegung hier bei uns zu schwächen, dass der US-Imperialismus sich auch einmischt und Fundamentalisten damit gezüchtet werden.
Der Terrorismus in Pakistan hat sich aufgrund der Präsenz der Nato entwickelt und die Auswirkungen bekommen besonders die Massen und die Arbeiter in Afghanistan zu spüren. Es betrifft die Arbeiterbewegung, weil eine Atmosphäre der Angst entsteht, Angst vor Selbstmordanschlägen, Angst vor Bomben. Aufgrund dieser Angst gehen viele Leute nicht mehr zu Demonstrationen und Kundgebungen. Auch die Drohnenangriffe werden von uns immer kritisiert, weil wir sie als eine Ursache für den Terrorismus in Pakistan betrachten. Sehr viele Menschen sterben! Fast alle Selbstmordattentäter kommen aus den Regionen, in denen es die Drohnenangriffe gibt.
Seit dem 11. September gab es sehr viele Drohnenangriffe, aber es wurde nie schlüssig erklärt, warum diese Angriffe überhaupt gemacht werden und was das Ziel ist. Wir wissen aber, dass es hauptsächlich unschuldige Zivilisten trifft, insbesondere Frauen und Kinder.
Bei uns wurde und wird der Krieg der Nato in Afghanistan als Krieg für Frauenrechte und Demokratie gerechtfertigt. Welche wahren Gründe seht ihr für den Krieg?
Wir denken, dass Deutschland und Europa für sich beanspruchen, die „champions of human rights“, die „Weltmeister in Sachen Menschenrechte“ zu sein und für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. Aber wenn man tatsächlich für Freiheit und Demokratie steht, kann man seinen Willen anderen nicht durch Gewalt und Krieg aufzwingen, sondern man muss die demokratischen Verhältnisse fördern und das Volk selbst entscheiden lassen. Wir glauben, dass dieser Krieg nicht für Demokratie und Frauenrechte, sondern wegen der Ressourcen und um die Ressourcen auszuplündern geführt wird – sowohl der natürlichen als auch der menschlichen Ressourcen. Und dass imperialistische Kriege nie Rechte bringen, sondern dagegen Menschenrechte verletzt werden und dieser Krieg ein Schritt ist, um das imperialistische System in dieser Region auszubauen. Der Krieg des vietnamesischen oder des palästinensischen Volkes hingegen ist ein berechtigter Befreiungskampf gewesen.
Wie können wir in Zukunft zusammenarbeiten gegen den imperialistischen Krieg und seine Folgen, vielleicht auch im Zusammenhang mit der ICOR?
Ich denke, dass der Prozess, der begonnen hat, sehr wichtig ist. Man muss erst einmal all die Informationen über die Situation und den Kampf der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt erfahren und auch über andere weltanschauliche, ideologische Strömungen. Ich glaube, wenn wir in dieser Weise arbeiten und uns selbständig den Informationsaustausch organisieren, können wir unabhängig werden von den imperialistischen Medien. Meiner Meinung nach sollten wir noch verstärkt kommunizieren und unsere Erfahrungen zwischen den Arbeitern in Pakistan und Deutschland, aber auch anderen Ländern austauschen, z. B. am 1. Mai wissen, was auch in den anderen Ländern passiert und so gemeinsame Aktionen durchführen. Also sowohl am 1. Mai wie auch am 8. März, dem Internationalen Frauentag. Zur ICOR denken wir, dass es eine internationale Verbindung der Arbeiter geben muss.
Wir sind der Meinung, dass wir, anstatt uns in theoretische Diskussionen zu verstricken und immer mehr die Unterschiede zu betonen, in der Praxis zusammenarbeiten müssen und unsere gemeinsamen Ziele und Forderungen formulieren und austauschen müssen. Insgesamt glaube ich, dass die ICOR eine sehr wichtige Rolle spielt. Es ist eine wichtige Initiative, dass es jetzt solch eine internationale Einigung von Arbeitern gibt. Ich möchte aber hinzufügen, dass wir eine Gewerkschaft sind, keine politische Partei und bei uns Leute mit verschiedenen Hintergründen und politischen Einstellungen mitarbeiten. Dennoch denke ich auch, dass wir unser Ziel nie aus den Augen verlieren dürfen. Unsere Strategien können sich in den einzelnen Ländern unterscheiden, aber unser Ziel, der Sozialismus, muss überall das gleiche sein.
Welche Grüße und Wünsche möchtest du an die Arbeiter, an die Massen in Deutschland und an die Mitglieder der MLPD richten?
Zunächst einmal vielen Dank an die MLPD und alle Genossen, dass sie sich für die Lage der Arbeiter in Pakistan interessieren und selbst in dieser sehr schwierigen Lage nach Pakistan kommen, um sich dort über die Lage der Arbeiter und Massen zu informieren. Wir glauben, dass die Arbeiterbewegung in Deutschland viel stärker ist als bei uns und uns voraus ist. Wir erwarten daher, dass sie – wie auch in der Vergangenheit – weiter andere Länder und vor allem natürlich auch hier in Pakistan unsere Arbeiterbewegung unterstützt. Wir grüßen die Genossen der MLPD für ihre Arbeit in der Arbeiterbewegung auf der ganzen Welt und möchten unsere Unterstützung erklären. Ihr leistet so einen sehr wichtigen Beitrag für den Kampf für den Sozialismus auf der ganzen Welt.
Vielen Dank für das Interview!