Börsennews notieren deutlich unter unerträglich

Vor und in den Nachrichten. Als Laufband unter der ntv-Doku, gern auch schon mal links daneben. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. An Weihnachten, Ostern und Pfingsten. In der Bahnhofshalle, am Terminal, in der Autobahnraststätte, der U-Bahn und im Einkaufszentrum. Selbst die Fußball-EM ist nicht so allgegenwärtig wie Börsenkurse und Heerscharen von Analysten, die sie interpretieren. Wird denn das ganze Weltgeschehen von der Zockerei um Profite beherrscht? Welche Bedeutung hat es für den Arbeiter, wer gegen wen um Anteile an dem Mehrwert wettet, den er erst noch mühsam erarbeiten muss? Und wie der sich dabei fühlt, und wie der andere sich fühlt und ob der Dritte damit rechnet, dass der eine oder der andere gewinnt oder auch nicht und der Vierte darauf setzt, dass sich der Dritte vertut?
„Da das Eigentum hier in der Form der Aktie existiert, wird seine Bewegung und Übertragung reines Resultat des Börsenspiels, wo die kleinen Fische von den Haifischen und die Schafe von den Börsenwölfen verschlungen werden.“
Nicht nur, dass von Merkels 2008/2009 großspurig versprochenen „Regulierungen der Finanzmärkte“ bis auf eine vage Absichtserklärung für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl wenig übrig blieb. Heut’ lässt sich auch noch mit Staatsbankrotten trefflich zocken. Stefan Engel wies in seiner Arbeit „Bürgerliche politische Ökonomie vor dem Scherbenhaufen – einige Ergänzungen zur marxistisch-leninistischen Krisentheorie der MLPD“ darauf hin, dass bereits im Jahr 2007 nach Angaben des DGB das weltweite Finanzvolumen (Summe aller Kredite, Finanzprodukte, Devisenmärkte etc.) beim 65-fachen Wert des realen Weltsozialprodukts lag. Mit anderen Worten: Auf die – sagen wir – 2.000 Euro Mehrwert, die ein Automobilarbeiter in einer modernen Produktion in einer Schicht erarbeitet sind bereits Wetten über 130.000 Euro abgeschlossen, wer sie erhält. Und das auch nur dann und insofern, wie das Auto überhaupt verkauft wird – und nach Abzug der Transport- und Händlerkosten, Rabatte, Steuern, Zölle etc.
So absurd das Schauspiel der Börsen, ihrer Kommentierung und einer ganzen Branche, die von letzterer lebt, wirkt, wies schon Marx darauf hin, dass die räumliche, sachliche und personelle Trennung des Kapitals vom Kapitalisten an der Börse „die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst [ist] und daher … als bloßer Übergangspunkt zu einer neuen Produktionsform sich darstellt.“
Darüber hat Anja Kohl bisher noch nicht gesprochen, wenn ich den Fernseher an hatte.

(alle Zitate, Marx/Engels, Werke, Bd. 25, S. 454–456)