Parteilicher Künstler erzürnt Biedermänner aller Couleur: Picassos Stalinporträt
Werke des großen spanischen Künstlers Pablo Picasso (1881 bis 1973) wurden und werden in Museen rund um den Erdball ausgestellt: seine Frühwerke und die aus der blauen Periode, die Skulpturen und die Frauenbildnisse, die Friedenstauben und die Keramiken und auch das Gemälde „Guernica“, mit dem Picasso die Verbrechen der Faschisten vor der Weltöffentlichkeit angeklagt hat. Was die Öffentlichkeit selten oder nie zu sehen bekommt: Picassos Stalinporträt. Anlässlich Stalins Tod am 5. März 1953 erschien in Paris eine Sonderausgabe der kommunistischen Zeitschrift „Les Lettres Françaises“. Befreundete Wissenschaftler und Künstler baten Picasso, für diese Ausgabe zu Ehren des Revolutionärs und Miterbauers der damals sozialistischen Sowjetunion etwas beizusteuern – und Picasso zeichnete ein Porträt des jungen Stalin. Flankiert wird die Zeichnung auf Seite 1 der „Lettres“ von einem Artikel des Chemie-Nobelpreisträgers Frédéric Joliot-Curie über Stalin, den Marxismus und die Wissenschaft und einem Essay von Louis Aragon über Stalin und Frankreich (siehe Abbildungen). Es ist ein Verdienst des Buchs von Alain Rustenholz „Paris ouvrier des sublimes aux camarades“ („Das Paris der Arbeiter“), dass es diese Zeichnung und die Auseinandersetzung hierum für die Arbeiterbewegung zugänglich gemacht hat.
Von Beginn an war Picassos Stalinporträt als Ausdruck seiner Sympathie und seines Engagements für den sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion und die Bezwinger des Hitlerfaschismus Zielscheibe heftiger antikommunistischer Attacken. Picasso wüsste nicht, was er tue; die Kommunisten nützten ihn nur aus, er sei zwar ein großer Künstler, aber politisch naiv und derlei mehr. Nach eigenem Zeugnis wusste Picasso jedoch sehr wohl, was er tat, als er 1944 Mitglied der Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) wurde. Gegenüber der amerikanischen Zeitschrift „New Masses“ beschrieb er sein Engagement folgendermaßen: „Ich kam zum Kommunismus ohne das geringste Zögern, da ich letztlich immer dabei gewesen war … Ich bin immer im Exil gewesen. Jetzt bin ich es nicht mehr; bis Spanien mich endlich wieder willkommen heißen kann, hat mich die Französische Kommunistische Partei mit offenen Armen aufgenommen. Ich habe dort all jene gefunden, die ich am meisten schätze … und all diese Gesichter, so schön, der Pariser, die ich während jener Tage im August bewaffnet gesehen habe. Ich bin einmal mehr unter meinen Brüdern.“
In der KPF gab es 1953 schon erhebliche bürokratische Erscheinungen. Kein Wunder, dass sie auch in der Auseinandersetzung mit und über Picasso wirkten. Im gleichen Haus wie die Redaktion der „Lettres Françaises“ war das Zentralorgan der KPF ansässig. Dessen Redakteure versuchten, mit körperlicher Gewalt und wüsten antikommunistischen Attacken gegen Stalin die Herausgabe der Zeitung mit dem Stalinporträt von Picasso zu verhindern. Nicht minder aufgebracht reagierten die Dogmatiker in der KPF: Picassos Zeichnung sei unheroisch und unangemessen, entgegneten sie dem Künstler: „Ihr Talent kann Stalin nicht das Wasser reichen“. Es ist überliefert, dass Picasso diese herbe Kritik nicht sonderlich anfocht: „Aragon hat mich aufgefordert, für seine Kondolenzseite für Stalin etwas beizusteuern. Weil ich ein Maler bin, habe ich eine Zeichnung geschickt. Ich habe Stalin nie gesehen, aber ich habe mein Bestes getan, um sie ähnlich zu machen. Vielleicht hat man gefunden (und es ist möglich), daß es nicht meine beste Zeichnung ist oder daß sie nicht ähnlich genug ist. Ich habe sie mir noch einmal angesehen, aber ich kann wirklich nichts Herausforderndes daran finden. Sie hat nicht gefallen? Na, schön! (Tant pis!) Aber im allgemeinen ist es nicht üblich, die Leute auszuschimpfen, die ihr Beileid ausdrücken.“
Letztes Jahr gab es in Wien in der Albertina eine große Ausstellung mit dem Titel „Picasso – Frieden und Freiheit“. Ihre Intention, so die „Frankfurter Rundschau“, sei gewesen, „einen Überblick zu geben über Picassos ‚Kommunistische Periode‘“. Angeblich sei sie „radikal misslungen“.
Da haben die Ausstellungsmacher doch tatsächlich gewagt, sich nicht in der Manier des modernen Antikommunismus von „diesem“ Picasso zu distanzieren. Die Kuratorin Lynda Morris und der Künstler bekommen gleichermaßen ihr Fett weg: „Morris bringt es fertig, von Picassos ‚unermüdlichem Einsatz für die Freiheit und seine Unterstützung des Kommunismus‘ zu sprechen, als sei es dasselbe … Morris bringt es fertig und nennt die von der Sowjetunion dirigierten Friedenskongresse, die Picasso unterstützte, ‚linksorientiert‘. Lynda Morris ist keine junge Frau, sie wurde 1947 geboren und gilt als eine der herausragenden Kuratorinnen Englands … Picasso hatte seit Jahrzehnten allen politischen Vereinnahmungsversuchen jeder Partei widerstanden. Warum jetzt der Eintritt in die Kommunistische Partei? Es war – Paris war befreit – kein Akt des Widerstands mehr.“
Da tritt einer in die kommunistische Partei ein, obwohl die Hitlerfaschisten aus Paris schon vertrieben sind. Das kann ja nur heißen, er ist nicht nur gegen Faschismus, sondern gegen die kapitalistische Ausbeutergesellschaft. Eine Frau, die schon lesen, schreiben und rechnen kann (denn sie ist ja nicht mehr jung) gibt der Picasso-Ausstellung den Untertitel „Frieden und Freiheit“. Sie ist zudem offenbar der Meinung, Einsatz für den Sozialismus sei ein Einsatz dafür, dass es endlich Demokratie und Freiheit für die übergroße Mehrheit der Menschen geben könne. Unglaublich, da verweigert doch tatsächlich ein Zweig der Kunstkritik der Staatsdoktrin „Moderner Antikommunismus“ die Gefolgschaft.
Glückwunsch – weiter so!
Tipp: Kunstmuseum Pablo Picasso Münster
Ausstellung vom 28. April bis 19. August 2012:
Picasso, die Kommunisten und das TheaterMusée d’art et d’histoire in Saint Denis
Münster, Picassoplatz 1, Dienstag bis Sonntag und Feiertage: 10 bis 18 Uhr, montags geschlossen. Tel.: 0251 41447-10