Wohnhöfe, Großküchen, Sport auf den Flachdächern …

Wohnungsbau im Sozialismus

Wien 1923: In den „Heimhof“ mit seinen 24 Wohnungen für Berufstätige ziehen die ersten Bewohner ein. Das Besondere an dieser Wohnanlage ist die sogenannte „Zentralwirtschaft bei genossenschaftlicher Selbstverwaltung“, ein städtebauliches Experiment, das fast gleichzeitig nicht nur im Wiener „Karl-Marx-Hof“ in viel größeren Umfang verwirklicht wird, sondern auch in Berlin, Zürich, Kopenhagen und im angelsächsischen Raum. In der Regel waren solche Wohnexperimente sozialdemokratische Ini­tiativen mit einer deutli­chen Tendenz zur Vergesellschaftung der Hausarbeit und der Erziehung.

Großwäschereien, öffentliche Bäder, Kindertagesstätten innerhalb der „Höfe“, inmitten der begrünten Innenhöfe Begegnungsstätten, eine Sportanlage auf einem Flachdach des „Heimhofs“ usw. zeugen davon, dass die Wohnungsfrage als eine wesentliche Frage des täglichen Lebens der Massen für die Sozialisten früh eine wichtige Rolle spielte. Solche Experimente hatten auch ihre „Kinderkrankheiten“: So, wenn im Wiener „Heimhof“ für 24 Kleinwohnungen nur eine einzige Großküche gebaut wurde – und damit das Kochen in den einzelnen Familien unmöglich wurde. Statt eines Angebots zur Erleichterung der Hausarbeit wurde so ein Zwang, das Kochen angestellten Kräften zu überlassen. Die Experimente in Wien wurden nach der Besetzung Österreichs durch die Hitler-Truppen 1939 jäh beendet.

Dies konnte im Kapitalismus auf Dauer keinen Bestand haben – zumindest nicht in Bezug auf die massenhafte, preiswerte und qualitativ hochstehende Versorgung der Arbeiterfamilien.

In der Sowjetunion wurde unmittelbar nach der sozialistischen Revolution die Wohnungsfrage heiß diskutiert und es wurde im großen Stil experimentiert. Es gab heftige Auseinandersetzungen mit kleinbürgerlichen Träumereien, dass jede Familie ein Haus mit Garten braucht (und damit das Land zersiedelt würde) oder auch sektiererischen Vorstellungen der weitgehenden Vergesellschaftung des Familienlebens. In Verbindung mit diesen Auseinandersetzun­gen entstanden aber große Visionen und Fortschritte eines sozialistischen Wohnungsbaus.

Das Prinzip der „Wohnhöfe“ wurde in den Zwanziger- und Anfang der Dreißigerjahre häufig umgesetzt bei Neubauten. Durch Umgehungsstraßen wurde der Durchgangsverkehr aus den „Wohnhöfen“ herausgehalten. Um die Frischluftzufuhr in die Wohngebiete zu gewährleisten, hatten die Wohnblocks in Arbeitersiedlungen nur selten mehr als fünf oder sechs Stockwerke. Ein regelrechtes Netz von Großwäschereien, Bibliotheken, Badeanlagen mit Wannenbädern, aber auch Großküchen zur Versorgung der Bewohner mit Mahlzeiten wurde an vielen Orten Standard und bot Voraussetzungen für die gleichberechtigte Teilnahme der Frauen am gesellschaftlichen Leben. Arbeiterclubs zeichneten sich durch besonders experimentierfreudige Architektur aus. Bei neuen Städten wie Magnitogorsk sollte die Nähe der Wohnsiedlungen zum Stahlwerk oder anderen Produktionsstätten einen Beitrag zur Überwindung der Trennung von Leben, Wohnen und Arbeit leisten. Das setzt freilich die möglichst geringe Belastung der Wohngebiete durch Schadstoffe aus den Produktionsstätten voraus.

Nach der Restauration des Kapitalismus in den ehemals sozialistischen Ländern wurden die Fortschritte des sozialistischen Wohnungsbaus pervertiert, für die Arbeiterfamilien oftmals hässliche „Platten“ gebaut. Aber all die Erfahrungen sozialistischer Stadtplanung bilden wichtige Grundlagen für den Städtebau in einer künftigen sozialistischen Gesellschaft.

Heute ist durch den Stand der Wissenschaft und Technik selbstverständlich viel mehr möglich als vor 100 Jahren – auch was das Wohnen betrifft, ist der Sozialismus materiell vollständig vorbereitet. Intensiv erforscht und weiterentwickelt werden müssen Methoden zur radikalen Senkung des Energieverbrauchs mit dem Ziel des „Nullenergiehauses“, gelöst werden muss die Frage des öffentlichen Nahverkehrs usw.

Wie das Wohnen im Sozialis­mus konkret gestaltet werden wird, kann natürlich nur den Entwicklern dieser neuen Gesellschaftsordnung überlassen werden.