Die wundersame Brüsseler Geldvermehrung

Die wundersame Brüsseler Geldvermehrung

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Dezember 2011 und im Februar 2012 jeweils 500 Milliarden Euro in den europäischen Geldkreislauf gepumpt. Eine Billion Euro – das ist mehr als das Dreifache des deutschen Bundeshaushalts! Wenn es um die Kürzung von sozialen Leistungen, um die rabiate Abwälzung von Krisenlasten auf die griechische Bevölkerung, selbst um bescheidene Lohnforderungen geht – dann wissen die bürgerlichen Politiker und Monopolvertreter nur, dass „wir“ nicht „über unsere Verhältnisse“ leben dürften, dass „eiserne Sparsamkeit“ angesagt wäre, dass für unsereins einfach kein Geld da ist. Nicht so für die Banken.

Sie bekommen von der EZB so viel Geld wie sie haben wollen – mit einem weit unter der Inflation liegenden Zinssatz von einem Prozent und einer Laufzeit von drei Jahren – also praktisch geschenkt. Zugleich wurden die Maßstäbe für Sicherheiten gelockert. Also bedienen sich auch Banken, die auf höchst wackligen Beinen stehen.
Ursprünglich waren die Notenbanken einmal offiziell eingeführt worden, um eine gewisse Währungsstabilität zu garantieren. Ihre Politik in der jetzigen Krise erreicht das genaue Gegenteil: das Risiko einer unkontrollierten, galoppierenden Inflation steigt, mit dem Geld wird weiter und immer riskanter spekuliert.
Ein so gewagter Geldsegen der EZB ist deshalb auch in den Reihen der Finanzmanager und sogenannten „Währungshüter“ höchst umstritten. Aber sie sind derzeit getrieben von der Furcht vor einem neuerlichen Einbruch in der Wirtschaft. Die wundersame Geldvermehrung aus Brüssel soll eine  Kreditklemme verhindern, die drohte, weil sich die Banken untereinander immer weniger Geld liehen und damit auch Investitionen der Konzerne blockierten.
Die Entwicklung bei der Industrieproduktion und im Bruttoinlandsprodukt zeigt deutlich, dass die 2008 begonnene Weltwirtschaftskrise nicht ausgestanden ist. Große imperialistische Länder (USA, Japan, Italien, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Schweden, Norwegen) haben bei der Industrieproduktion nicht einmal das Niveau von 2005, geschweige denn den meistens höher gelegenen Vorkrisenstand erreicht. Selbst bei den Ländern, die den Vorkrisenstand schnell wieder erreicht oder sogar überflügelt haben (China, Brasilien, Südkorea, Türkei oder Polen) zeichnet sich ein Abwärtstrend bei den Wirtschaftszahlen ab.
Immer tiefer in die Krise geraten besonders die südeuropäischen Länder – keinesfalls nur Griechenland, sondern auch Italien, Spanien und Portugal. Davon ist auch die extrem exportabhängige deutsche Wirtschaft betroffen – die sich bislang relativ gut aus dem Krisentief hocharbeiten konnte.
Während die Weltfinanzkrise 2008 konkret von Bankenpleiten wie bei Lehmann-Brothers ausging und damit die Weltwirtschaftskrise auslöste, hat sich seither die Krisenhaftigkeit des ganzen Weltwirtschafts- und Finanzsystems noch dramatischer entwickelt, insbesondere weil sämtliche Staatshaushalte nun unmittelbar in diesen Krisenzyklus eingebunden wurden durch beispiellose Verschuldung.
Für die Bank- und Finanzhaie ist die wundersame Geldvermehrung aus Brüssel vor allem Ansporn für neue Höhenflüge der Spekulation. Schon im Dezember griffen sie tief in den Topf der EZB, um mit dem billigen Geld Staatsanleihen kriselnder Länder zu kaufen – zu wesentlich höheren Zinssätzen, versteht sich.
Das Risiko trägt ja wiederum die EZB – und damit die Masse der Steuerzahler in den europäischen Ländern. Wenn die Banken die Papiere als allzu gefährdet ansehen, verscherbeln sie sie an die EZB. Inzwischen halten die angeblichen „Währungshüter“ der EZB Staatspapiere im Wert von 220 Milliarden Euro in ihren Büchern. Darunter waren Anfang März nach seriösen Schätzungen griechische Staatsanleihen in Höhe von 56,5 Milliarden Euro – offizielle Zahlen werden dazu nicht herausgegeben.  
Auch wenn das aus Brüssel gepumpte Geld zeitweilige Entspannung verschaffen vermag – die immer engere wechselseitige Abhängigkeit von Banken, Staatshaushalten und EZB wird die Labilität des kapitalistischen Wirtschafts- und Finanzsystems noch weiter vertiefen.

Anna Bartholomé