Volksabstimmung in Baden-Württemberg: Kampf um jede Stimme gegen Stuttgart 21!
Am 27. November 2011 sind die ca. 7,6 Millionen wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs erstmals zu einer Volksabstimmung aufgerufen. Dabei geht es um das Milliarden-Spekulations-Projekt Stuttgart 21. Dass es überhaupt zu dieser Abstimmung kommen wird, nachdem es vom Bahn-Vorstand, der früheren CDU-Landesregierung und dem Berliner Kabinett immer hieß, „alles demokratisch beschlossen“, ist ein großer Erfolg. Dieses Zugeständnis wurde erkämpft durch den lang anhaltenden und begeisternden Volkswiderstand gegen S 21. Die Massen der Menschen im Land begrüßen die Volksabstimmung, weil sie selbst entscheiden wollen, geht es doch im wahrsten Sinne des Wortes um eine Weichenstellung für die Zukunft. Das betrifft den Schutz der durch S 21 gefährdeten Umwelt, die massive Verschlechterung des Nah- und Güterverkehrs, aber auch die demokratischen Rechte und Freiheiten, die von den S 21-Betreibern mit Füßen getreten werden.
Die MLPD Baden-Württemberg hat den Aufruf des Landesbündnisses für das Ausstiegsgesetz unterzeichnet. Nun gilt es damit ernst zu machen und mit dem ganzen Landesverband die Vorbereitung und Durchführung der Volksabstimmung gegen S 21 aktiv zu unterstützen als fester und verlässlicher Bestandteil der gesamten Protestbewegung. Diese ist bisher am stärksten in der Region Stuttgart vertreten. Es wird deswegen viel davon abhängen, sowohl in der Landeshauptstadt als auch in allen anderen Städten und Regionen systematische Klein- und Überzeugungsarbeit zu leisten – bei Ständen und Hausbesuchen, bei Versammlungen und Veranstaltungen, im Familien-, Bekannten- und Freundeskreis. Dazu verpflichtet sich die MLPD, die mit ihren Kreisen und Ortsgruppen in ganz Baden-Württemberg flächendeckend vertreten ist.
Ein weiterer Trumpf, den sie einbringt, ist ihre Verankerung in den Groß- und Riesenbetrieben der hier zahlreich ansässigen internationalen Monopole. Deren Vorstände ergreifen durch die Bank Partei für S 21, nicht selten unterstützt durch reformistische Gewerkschaftsführer wie dem Daimler-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden. Umso wichtiger ist der Kampf um jede Stimme gegen S 21 gerade in der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit der MLPD, die darin in den nächsten Wochen einen Schwerpunkt haben wird. Ebenso bei der Gewinnung der Jugend und neuer Bündnispartner an Schulen und Hochschulen.
Zugleich hat die Abstimmung einen Doppelcharakter, denn sie beinhaltet auch einen neuen Versuch, mit scheindemokratischen Mitteln den Widerstand zu befrieden und die fehlende Legitimation für S 21 zu schaffen. Deswegen ruft die MLPD in Baden-Württemberg dazu auf: JA zur Volksabstimmung gegen S 21! NEIN zu jeglicher Unterordnung unter ein manipuliertes und undemokratisches Ergebnis!
Vor allem sind es folgende Merkmale, die eine wirklich demokratische Abstimmung verhindern:
• Die Fragestellung bei der Wahl besteht nicht zwischen JA und NEIN zu S 21, sondern es geht lediglich um den Ausstieg aus der Finanzierung des Projekts durch das Land. Die dazu ausgehandelten Verträge sind noch dazu alle unter betrügerischen Bedingungen zustande gekommen, da die Bahn erwiesenermaßen die wahren Ausmaße der Baukosten und Risiken vertuschte. (Die neue Landesregierung hätte diese Verträge deshalb längst für nichtig erklären müssen.) Außerdem findet das Alternativkonzept K 21 auf dem Abstimmungszettel keinerlei Erwähnung.
• Ein Ergebnis gegen S 21 in der Volksabstimmung wird durch das „Quorum“ nahezu unmöglich gemacht. Denn nicht die Mehrheit der Abstimmenden entscheidet, sondern erforderlich ist, dass mindestens 33 Prozent der Wahlberechtigten im Land (ca. 2,5 Millionen Wähler) mit „JA“ zum Ausstieg stimmen. Vergleichsweise wäre die jetzige Landesregierung mit ihren 2,358 Millionen Wählerstimmen bei der letzten Wahl mit so einem Quorum glatt gescheitert.
• Durch die bestehende Finanz- und Medienmacht, die den S 21-Betreibern zur Verfügung steht, ist eine echte demokratische Willensbildung der Bevölkerung ausgehebelt. Allein der Regionalverband Stuttgart hat schnell mal eine Million Euro für eine Kampagne Pro S 21 locker gemacht – aus Steuergeldern! Den S 21-Gegnern wird der freie Zugang zu den Massenmedien dagegen vorenthalten.
• Finanzminister Nils Schmid (SPD) erlaubt der Bahn über den „Gestattungsvertrag“, Baumaßnahmen im Schlossgarten durchzuführen, sowie es insgesamt keinen generellen Baustopp gibt, so als ob die Volksabstimmung für die S 21-Betreiber vollkommen uninteressant sei.
• Mit mehr als 2.000 Strafverfahren soll der Widerstand gegen S 21 kriminalisiert und eingeschüchtert werden. Wohlgemerkt jener Widerstand, der die Volksabstimmung überhaupt erst ermöglichte und spätestens jetzt endlich von derartiger Strafverfolgung befreit werden muss.
All dies zeigt, dass die Volksabstimmung für den aktiven Volkswiderstand genutzt werden kann und muss, sie ihn aber keinesfalls ersetzt. Er ist heute dringender denn je, auch wenn die S 21-Betreiber aus durchsichtigen Motiven die Aufgabe des Widerstands propagieren nach dem Motto: „Wer abstimmt, darf dann hinterher auch nicht mehr demonstrieren.“
Grundsätzlich wäre natürlich auch ein Boykott der Volksabstimmung möglich. Darüber wurde auch in der MLPD diskutiert und festgestellt: Da es einen großen Wunsch nach Beteiligung an der Abstimmung gibt, bestände durch Boykott die Gefahr einer Schwächung der S 21-Gegner, indem die einen zur Abstimmung gehen und die anderen fernbleiben. Boykottstimmen würden wegen des Quorums dann aber objektiv wie Befürworter-Stimmen für S 21 zählen.
H. Rockenbauch und G. Stocker (beide SÖS-Gemeinderäte in Stuttgart) weisen im Vorfeld der Abstimmung völlig berechtigt darauf hin, dass es im Kampf gegen S 21 um mehr als um einen Bahnhof geht: „Es wird über die Frage entschieden, ob der Umweltschutz und der Kampf gegen die Klimakatastrophe oberste Priorität haben oder ob die skrupellosen Profit- und Immobilienhaie sich durchsetzen … Dass wir das Wunder schaffen können, liegt an den Menschen: Sie wollen nicht, dass überall im Land die Umwelt und die Zukunft kaputt gemacht werden …“ (Stadt.Plan 56/2011). In diesem Sinne gilt es, den Kampf gegen S 21 in den Aufbau einer weltweiten Front des aktiven Widerstandes zur Rettung der Umwelt vor der Profitwirtschaft einzubringen: Stuttgart 21 ist überall!
Die MLPD verbindet den Kampf um eine demokratische Mehrheit bei der Volksabstimmung offensiv mit dem Eintreten für den echten Sozialismus. Erst wenn die Diktatur des allein herrschenden Finanzkapitals beseitigt ist, werden die Menschen wirklich selbst über ihre Zukunft entscheiden können, frei von Manipulation, Wahlbetrug und allen undemokratischen Machenschaften!
Somit steht eine harte, aber auch mobilisierende Massenauseinandersetzung mit großen Herausforderungen und Chancen bevor. Tragen wir deshalb gemeinsam dazu bei, diese Volksabstimmung zur politischen Niederlage für die S 21-Betreiber in Konzernvorständen und Bundesregierung zu machen – zu einer passenden Antwort auf die „Arroganz der Macht“!
Peter Borgwardt, Landesleitung Baden-Württemberg der MLPD