Die Berliner Mauer – und die scheinheilige Empörung des Antikommunismus

Die Berliner Mauer – und die scheinheilige Empörung des Antikommunismus

Die Freude war überwältigend bei der Mehrzahl der Deutschen in Ost und West, als die Berliner Mauer im November 1989 fiel. Zu Recht wird dies jedes Jahr seither gefeiert. Die mutige, aufständische Bevölkerung der DDR hat mit ihrer Forderung „Wir sind das Volk“ und ihren Montagsdemonstrationen in Berlin, Leipzig, Magdeburg und vielen anderen Städten erreicht, dass das Honecker-Regime abtreten musste und die Wiedervereinigung endlich vollzogen werden konnte. An einem Sonntag, dem 13. August 1961, war mit dem Bau der Mauer in Berlin begonnen worden. Knapp 170 Kilometer lang, durchschnitt sie Berlin in zwei Teile. Weit über 100 Menschen, die zu fliehen versuchten, wurden erschossen. Dieses beschämende Ereignis der deutschen Geschichte und Symbol des Verrats am Sozialismus wird von den bürgerlichen Medien seit Wochen für eine antikommunistische Hetzkampagne missbraucht.

Ungezählte Schicksale von Familien sind in schrecklicher Weise direkt mit diesem Mauer­bau verknüpft; Lebensgeschichten, die dadurch brutal zerrissen wurden; gescheiterte, oft tödlich bestrafte oder auch geglückte Fluchtversuche; DDR-Grenzpolizisten, die mit Stacheldraht durch Straßen, Gärten und Häuser eine undurchdringliche Grenze zogen und Wege, die nicht mehr gegangen werden konnten.

Diese Erfahrungen auf beiden Seiten der deutschen Grenze vermitteln zu Recht ein Gefühl der Abscheu vor einem System, das die eigene Bevölkerung hinter Mauern und Stacheldraht einsperrt. Und es sind zum 50. Jahrestag des Mauerbaus gar nicht in erster Linie theoretische Abhandlungen, die der Antikommunismus einsetzt mit einer Flut von Artikeln, Bildern, Filmen, sondern eben solche Lebensgeschichten, die vor allem unsere Gefühle ansprechen. „So sieht Sozialismus aus“ – das ist die sorgfältig konzipierte zentrale Botschaft dieser Berichte.

Sieht so Sozialismus aus?

Tatsächlich gab es vor dem Mauerbau eine massive Fluchtwelle aus der DDR. Im Jahr 1960 hatten allein 200.000 Menschen der DDR den Rücken gekehrt, oft gut ausgebildete Leute. Sie flohen – angezogen auch von offensiver West-Propaganda – vor einer zunehmend problematischen Versorgung und vor einem wachsenden Arbeitsdruck, mit dem die DDR unter Walter Ulbricht die ökonomischen Probleme des Landes in den Griff bekommen wollte.

In der DDR wurde seit dem XX. Parteitag der KPdSU in der Sowjetunion (1956) der Kapitalismus restauriert. Eine neue Bourgeoisie entstand aus einer Bürokratenschicht, bei der die kleinbürgerliche Denkweise vorgedrungen war und die die sozialistischen Prinzipien schrittweise aufhob: „Die zentrale staatliche Planung und Leitung der Wirtschaft wurde in der DDR formell aufrechterhalten, aber ihr Inhalt durch die Ausrichtung auf den betrieblichen Nettogewinn als wichtigste Plankennziffer und auf materielle Anreize grundsätzlich verändert.“ („Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“, S. 119) Das kapitalistische Profitgesetz, die Ausbeutung verdrängte die sozialistische Produktion, die in der DDR trotz weitgehender Zerstörungen durch den II. Weltkrieg und großer Reparationsleistungen an die Sowjetunion zunächst große Fortschritte hervorgebracht hatte. Ein entwickeltes Sozialwesen hatte z. B. das Recht auf einen Arbeitsplatz, Wohnung, Kinderbetreuung usw. garantiert. An verschiedenen Fortschritten wurde nach 1956 festgehalten, aber insgesamt verschlechterte sich mit der Restauration des Kapitalismus zunehmend die Lebenslage.

Die neue Bourgeoisie war immer weniger in der Lage, die Menschen zu gewinnen und zu begeistern für den Aufbau eines Systems, das mit Sozialis­mus – außer in der offiziellen Sprachregelung – nichts mehr zu tun hatte. Die Unzufriedenheit im Land hatte massiv um sich gegriffen.

Die Fluchtbewegung war auch eine Reaktion auf die zunehmende Unterdrückung und Bespitzelung in der DDR mit ihrem allseitigen Einsatz der „StaSi“. Das wurde und wird vom Antikommunismus nach Kräften ausgeschlachtet: Die widerwärtigen Erfahrungen mit der StaSi, mit Bautzen, mit umfassenden Bevormundungen, Gängelungen, Behördenwillkür bis hin zum Schießbefehl an der Grenze usw. Früher wurden ungezählte Schulklassen aus Westdeutschland nach Berlin geschleust, um die ­Mauer zu sehen und „staatsbürgerlich“ ausgerichtet zu werden in Antikommunismus. Sie erlebten das Frösteln an der Grenze angesichts der bewaffneten Kontrollen, die Angst vor Schikanen. Auch heute wird der Widerwille gegen eine graue, menschenverachtende Diktatur intensiv geschürt, die Schreckensbilder des angeblichen „Sozialismus“ mit viel Engagement am Leben gehalten. Dabei ist den Propagandisten des westlichen Imperialismus selbst klar, dass das System der DDR die Farbe gewechselt hatte.

Was nach der Restauration des Kapitalismus zunehmend hervortrat und vom Antikommunismus genüsslich als die typische Funktionsweise eines „Arbeiter- und Bauernstaats“ ausgewalzt wird, war allerdings das Gegenteil der Diktatur des Proletariats – es war die Diktatur der neuen herrschenden Klasse der DDR. Diese und die neuen Herrscher der Sowjetunion profitierten von der Ausbeutung und Unterdrückung der DDR-Bevölkerung.

Der echte Sozialismus dagegen bedeutet für die Volksmassen ein in der Geschichte noch nie erlebtes Maß an Freiheit und Demokratie. Das zeigte sich in den Jahren des Aufbaus der DDR in großen Initiativen, in demokratischen Aussprachen und Beratungen über Produktionspläne in den Betrieben, in einem hohen Maß der Selbstorganisation in Wohngebieten usw. Das neue Selbstbewusstsein, den eigenen Staat aufzubauen, prägte die Auseinandersetzung – in heftigem Kampf gegen alle Bestrebungen, das Rad der Geschichte wieder zurückzudrehen.

Der Sozialismus ist „unvermeidlich eine Periode unerhört erbitterten Klassenkampfes, unerhört scharfer Formen dieses Kampfes, und folglich muß auch der Staat dieser Periode unvermeidlich auf neue Art demokratisch (für die Proletarier und überhaupt für die Besitzlosen) und auf neue Art diktatorisch (gegen die Bourgeoisie) sein.“ (Lenin, Werke, Bd. 25, S. 425)

Deshalb steht die Diktatur des Proletariats auch im Zentrum der Angriffe der Verteidiger der Diktatur der Monopole. Diese scheinbar so um die Menschenwürde besorgten antikommunistischen Geschichtenerzähler sind allerdings die gleichen, die die skrupellose Zusammenarbeit der westlichen Imperialisten mit blutigen Diktaturen wie z. B. in Nordafrika und im arabischen Raum sorgsam bemänteln; die die zunehmende Faschisierung des Staatsapparats forcieren und staatsmännisch applaudieren, wenn Demonstranten zusammengeknüppelt werden. Das sollte man nicht vergessen.

Ein „antifaschistischer Schutzwall“?

Die Mauer sei ein „antifaschistischer Schutzwall“ – so die Rechtfertigung der DDR-Bourgeoisie für diesen mons­trösen Bau.

Tatsächlich bauten die westlichen Imperialisten unter Führung der USA Westdeutschland zur antikommunistischen Front­zone auf. Denn die Nie­derwerfung des Hitler-Faschis­mus durch die Rote Armee und die großen Erfolge beim Aufbau des Sozialismus unter schwierigsten Bedingungen in der Sowjetunion führten nach 1945 dazu, dass der Sozialis­mus weltweit an Ansehen bei den Massen gewann.

Den westlichen Imperialisten unter Führung der Supermacht USA stand nach der Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion eine neue, sozialimperialistische Supermacht ge­genüber – ein gigantisches Wettrüsten zwischen den USA und der UdSSR begann. Damit den Mauerbau als „Schutzwall“ zu rechtfertigen, ist jedoch lächerlich: Welche Atombombe hätte sie abhalten, welchen Raketenangriff aus dem Westen verhindern können?

Diese Argumentation sollte lediglich die inneren Schwierigkeiten und das Scheitern der DDR-Herrschenden überdecken.

Ein steinernes Symbol der kapitalistischen Entartung

Die Mauer war ein Stein gewordenes Symbol einer neuen kapitalistischen Gesellschaftsordnung in der DDR und es ist hervorragend, dass sie gefallen ist! Denn die Wiedervereinigung „eröffnete auch die historische Chance für die arbeitenden Menschen in ganz Deutschland, nunmehr gemeinsam den Kampf für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu führen“, heißt es in einer Erklärung des Zentralkomitees der MLPD zum 40. Jahrestag des Mauerbaus („Rote Fahne“ 32/2001). Die MLPD hat sich seit ihren Anfängen grundsätzlich mit dem Verrat am Sozialismus auseinandergesetzt als Basis für den Neuaufbau einer revolutionären Partei.

Der Antikommunismus, der den Blick auf die Per­­s­pektive des Sozialismus verstellen will, ist in Schwierigkeiten: Vor Jahren noch wurde der Kapitalismus als das „beste aller Systeme“ gepriesen – wer glaubt das heute noch? Der Kapitalis­mus ist in einer tief krisenhaften Entwicklung – und die Kräfte der Revolution werden weltweit stärker. Umso wichtiger ist es, die Lehren aus der kapitalistischen Entartung ehemals sozialistischer Länder zu ziehen – das ist die Mahnung des Baus der Berliner Mauer vor 50 Jahren. Jeder, der sich für den echten Sozialismus interessiert, in dem wirklich der Mensch im Mittelpunkt steht, ist in der MLPD herzlich willkommen!