Und die Reallöhne sinken doch …
Eine im Juli herausgegebene Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) belegte, dass die untersten Einkommensgruppen in den letzten zehn Jahren die stärksten Reallohneinbußen hinnehmen mussten. Grundlage der Studie ist die jährliche Befragung von 22.000 Personen. Während die monatlichen Reallöhne (Nettomonatseinkommen abzüglich der Inflation) im Durchschnitt in dieser Zeit um 2,5 Prozent sanken, betrug der Rückgang im unteren Lohnsektor sogar 16 bis 22 Prozent.
Markus Grabka vom DIW macht dafür vor allem die drastische Ausweitung des Niedriglohnsektors durch die Hartz-Reformen verantwortlich: „Wenn von 40 Millionen Erwerbstätigen sieben Millionen Minijobber sind, dann ist et- was aus dem Ruder gelaufen.“ („Frankfurter Rundschau“, 20. 7. 11) Heftige Kritik an der Studie kam prompt von den Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), das den Unternehmerverbänden nahe steht. Sie sehen diese Entwicklung als Beweis dafür, dass die „Flexibilisierung des deutschen Arbeitsmarkts“ gelungen sei. Mehr Teilzeitbeschäftigung und Minijobs hätten auch zu „neuen Verdienstmöglichkeiten“ geführt. Dass diese Verdienstmöglichkeiten kaum zum selbständigen Leben reichen, kümmert die IW-Experten wenig. Zur Rechtfertigung behaupten sie dennoch, dass es „je Stunde gerechnet … preisbereinigt bei den Verdiensten einen leichten Anstieg von gut ein Prozent gegeben“ habe („dw-world“, 20. 7. 11).
Das wiederum widerlegt eine weitere aktuell erschienene Untersuchung des DIW, dieses Mal bezogen auf die Entwicklung der realen Stundenlöhne. Auch diese sind in der un- tersten von zehn verschiedenen vom DIW eingeteilten Einkommensgruppen zwischen 2000 und 2010 um 4,9 Prozent gesunken. Beschäftigte mit höheren Einkommen hatten in der ersten Hälfte des Jahrzehnts noch leichte Zuwächse ihrer realen Kaufkraft, seit 2005 müssen aber auch sie Reallohnverluste hinnehmen (je nach Einkommensgruppe um 1,8 bis 2,2 Prozent). Nur in der höchsten Gehaltsgruppe stagnierten die realen Einkommen.
Dabei sind die Unterschiede in der Realität noch größer. Bei den Berechnungen des DIW wird die offizielle Inflationsrate zugrunde gelegt. Tatsächlich sind die unterschiedlichen Einkommensgruppen aber von unterschiedlichen Preissteigerungen betroffen. So ist der Anteil der Wohnungs-, Nahrungsmittel- und Verkehrskosten an den Gesamtausgaben bei den Arbeiter-, Arbeitslosen und Rentnerhaushalten in der Regel wesentlich höher als bei vielen Akademikern, Selbständigen oder gar bestverdienenden Managern. Die Miet- und Energiekosten sowie Nahrungsmittel- und Spritpreise stiegen in den letzten Jahren aber am stärksten an. Benzin, Diesel und andere Kraftstoffe kosteten im Juni dieses Jahres 9,9 Prozent mehr als vor einem Jahr, Heizöl verteuerte sich um fast ein Fünftel, Strom um 7,6 Prozent. Lebensmittel kosteten 2,6 Prozent mehr als im Juni 2010, was ebenfalls über der offiziellen Inflationsrate von 2,3 Prozent liegt. Das zeigt aber auch, wie verfälschend die offizielle Inflationsrate und der ihr zugrunde liegende „einheitliche Warenkorb“ sind.