Zum 70. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion: „Der Spiegel“ im Dienst des Antikommunismus
aus Rote Fahne 25/2011
Der Jahrestag des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 ist Thema der bürgerlichen Medien. Die „Rote Fahne“ war in Nr. 22 und 23 auf die Ursachen und Hintergründe dieses faschistischen Verbrechens eingegangen und hatte antikommunistische Angriffe auf Stalin widerlegt. Geradezu ein Musterbeispiel der Geschichtsverdrehung lieferte nun das Magazin „Der Spiegel“, das am 11. Juni mit der Titelgeschichte „Hitler gegen Stalin. Bruder Todfeind“ erschien.
Wie und warum es zum II. Weltkrieg kam, ist für den „Spiegel“ irrelevant, der „grauenvollste Krieg in der Geschichte der Menschheit“ war für ihn „das Duell zweier Despoten, die einander seit 1923 belauert hatten“, die Tat „zweier Jahrhundertverbrecher“. Stalin, der Repräsentant der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung, und Hitler, der Repräsentant des deutschen Monopolkapitals, werden als „Brüder“ dargestellt und man will den Leser glauben machen, dass die Geschichte nicht – wie Karl Marx es formulierte – eine Geschichte von Klassenkämpfen ist, sondern dass sie von „großen Männern“ gemacht wird, in diesem Fall von zwei ausgemachten Scheusalen.
Das Vorgehen hat Methode. Sie wurde entwickelt, als Gorbatschow, Gysi und Co. nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der DDR den modernen Antikommunismus aus der Taufe hoben. Sie wiesen die marxistisch-leninistische Analyse der 1956 mit dem Putsch Chruschtschows einsetzenden Restauration des Kapitalismus zurück und behaupteten stattdessen, der Sozialismus sei gescheitert. Die Hetze gegen Stalin nahm gigantische Ausmaße an. Ständig erscheinen dazu neue Bücher, der „Spiegel“ kündigte jetzt ein weiteres von einem US-Professor Timothy Snyder an. Seine Grundthese soll sein, dass „die Interaktion der beiden Diktatoren zu mehr Toten geführt“ habe, als einer allein hätte verursachen können. Damit wird Stalin jedoch allen Ernstes vorgeworfen, dass unter seiner Führung die Sowjetunion im Kampf gegen den Hitler-Faschismus große Opfer bringen musste! Tatsächlich hat die Sowjetunion vor dem Krieg jahrelang eine intensive Friedenspolitik verfolgt, ist dem Völkerbund beigetreten mit dem Ziel, Staaten wie England, Frankreich und die USA für ein gemeinsames Vorgehen gegen Hitler zu gewinnen! Die allerdings haben es vorgezogen, Hitler „beschwichtigen“ zu wollen. Von den Geschichtsfälschern wird auch behauptet, bei dem daraufhin abgeschlossenen Nichtangriffsvertrag mit Deutschland sei es um die „Aufteilung der Interessenssphären in Osteuropa“ gegangen. Natürlich wird nicht erwähnt: Die Sowjetunion hatte nur die Gebiete beansprucht, die ihr nach dem Bürgerkrieg 1920 abgepresst worden waren. Solche „Argumente“ setzen darauf, dass die Leser die historischen Fakten nicht präsent haben.
Den Reigen dieser Hetzkampagne gegen den Sozialismus hatte ein Buch eröffnet, das schnell zu den fünf weltweit am stärksten verbreiteten Büchern über Stalin gehörte, die 1991 erschienene Doppelbiographie „Hitler und Stalin. Parallele Leben“ des britischen Historikers Alan Bullock. Als die „Frankfurter Allgemeine“ ihn am 6. Dezember 1991 fragte: „Es liegt nahe, Hitler und Stalin als die beiden monströsesten Übeltäter unseres Jahrhunderts so miteinander zu vergleichen, wie Sie es jetzt als erster in ihrem Buch getan haben. Warum hat das noch niemand vor Ihnen übernommen?“, antwortete er: „Ich glaube, es ist schwierig für Deutsche oder Russen, das Thema so anzugehen … Auf der anderen Seite ist meine Perspektive freier, weil ich nicht direkt betroffen bin und nicht Russland oder Deutschland zu verteidigen habe … Die Zeit schien mir jetzt reif für einen solchen Versuch.“
Tatsächlich war für die Monopolpropaganda die Zeit reif. Eine reaktionäre Flut ergoss sich über die Menschen. Gefragt war dafür nicht etwa wissenschaftliche Analyse, sondern gezielt wurden die Gefühle bearbeitet. Zu den fünf Weltbestsellern zählt auch der einzige Stalin-Biograph, der in der „Spiegel“-Titelgeschichte angeführt wird: Simon Sebag Montefiore, Spross einer britischen Bankiersfamilie, und sein Titel „Stalin. Am Hof des roten Zaren“, der im Sommer 2010 von Angela Merkel als Urlaubslektüre empfohlen wurde.
Ursula Keller, eine Journalistin mit Anstand, urteilte bei seinem Erscheinen: „Zeitgeschichte als Skandalgeschichte. Stalin privat. Liebe. Hass. Eifersucht. Geburtstagsfeiern, Trinkgelage. Sex and Crime. Dies sind die Themen dieses ungemein wichtigen Beitrags zur Stalinismusforschung. Der historisch interessierte Leser erfährt wenig Neues, dafür aber umso mehr, was er möglicherweise gar nicht wissen wollte.“ („Freitag“, 7. Juli 2006)
Genauso funktioniert aber die Manipulation der öffentlichen Meinung durch das System der kleinbürgerlichen Denkweise: „… mit seiner metaphysisch-idealistischen Methode zielt es auf Desorientierung, Desorganisierung und Demoralisierung der Arbeiter- und Volksbewegung.“ (Stefan Engel, „Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“, S. 213)
Mit dem Bundesverdienstkreuz wurde der US-Professor Norman M. Naimark geehrt. Er ist seit diesem Frühjahr als Axel-Springer-Fellow an der American Academy in Berlin tätig. Im Suhrkamp Verlag veröffentlichte er 2011 das Buch „Stalin und der Genozid“. Sein Ziel ist, die 1948 in einer UN-Konvention festgelegte Bestimmung des Genozids (Völkermord) zu ändern, um den Klassenkampf, wie er vor dem II. Weltkrieg in der Sowjetunion geführt wurde, als Völkermord zu bezeichnen. Damit wäre Stalin auch offiziell als „Jahrhundertverbrecher“ gekennzeichnet und seinem Todfeind Hitler gleichgesetzt! (dk)
Kasten: Für die Anti-Hitler-Koalition des II. Weltkriegs galt Josef Stalin in den USA als „Uncle Joe“. Das US-Magazin „Time“ vom Januar 1943 ehrte ihn als den „Mann des Jahres.“ Die USA erklärte die Sowjetsoldaten als Freunde. Heute soll Stalin als „Verbrecher“ verurteilt werden, wofür sich besonders der US-Professor und Bundesverdienstkreuzträger Norman M. Naimark ins Zeug legt.