Antikommunismus: inkompetent, unwissenschaftlich und historisch falsch
aus Rote Fahne 30/2011
Vor kurzem kündigte der „Spiegel“ das Erscheinen der deutschen Ausgabe des Buches „Bloodlands“ an. Autor ist US-Professor Timothy Snyder. Es sorge bereits „in den USA für großes Aufsehen“, freut man sich bei Deutschlands Frontblatt gegen den Kommunismus. Synders Kernthese ist die Gleichsetzung des faschistischen Diktators Adolf Hitler mit dem sowjetischen Revolutionär und Verteidiger des Sozialismus, Josef Stalin. Damit spricht Snyder den „Spiegel“-Autoren offenbar aus dem Herzen: „Snyder behauptet, die Interaktion der beiden Diktatoren habe zu mehr Toten geführt, als einer alleine hätte verursachen können.“ („Spiegel“ 24/11, S. 63) Der „Spiegel“ folgt dieser These mit der Titelgeschichte „Hitler gegen Stalin – Bruder Todfeind“.
Wie üblich fallen beim „Spiegel“ sämtliche Skrupel einer einigermaßen seriösen Recherche unter den Tisch, wenn es gegen den Kommunismus, namentlich Stalin geht. Absurdeste Vorwürfe von Snyder werden als ernsthafte Ansätze scheinbar objektiv diskutiert und damit verbreitet.
Kostprobe: „Aber hat Snyder auch Recht, wenn er behauptet, dass Stalin für den Tod der Millionen Rotarmisten in Hitlers Kriegsgefangenschaft mitverantwortlich war, weil er seinen Generälen 1941 den Rückzug verbot und die Wehrmacht ganze Armeen einkesseln konnte?“
Das ist nicht nur historisch falsch, sondern auch militärisch inkompetent. Die Rote Armee zog sich nach dem faschistischen Überfall sehr wohl notgedrungen zurück, aber nicht flüchtend, sondern geordnet und Widerstand leistend. Das war genau richtig, weil so dem Rest des Landes Zeit verschafft wurde, für die Kriegsmobilisierung. So wurde das faschistische Kriegsziel, die Rote Armee zu überrennen und große Teile sofort zu vernichten, durchkreuzt. Was Snyder kritisiert, war gerade ein zentraler Grundstock des späteren Sieg. Dass trotzdem 5,16 Millionen Rotarmisten im gesamten Kriegsverlauf in Gefangenschaft gerieten, war unvermeidlich. Es ist aber vollständig dem faschistischen Überfall geschuldet und hat nichts mit der Kriegsführung Stalins und seines Generalstabs zu tun.
473.000 sowjetische Kriegsgefangene wurden von den Faschisten „offiziell“ exekutiert. Weitere knapp 3 Millionen durch Hunger, Zwangsarbeit und formlose Exekution – gegen alles Völkerrecht – ermordet. Und diese Morde schiebt Snyder Stalin mit in die Schuhe. Das ist bar jeder Wissenschaftlichkeit und nur aus niedersten antikommunistischen Motiven heraus erklärbar.
Was wäre Snyders Alternative? Hätten die Sowjetunion und Stalin kapitulieren und damit die Sowjetunion und ganz Europa dem faschistischen Terror ausliefern sollen? Der Blutzoll wäre zweifelsohne ungleich höher gewesen. Nach Snyders „Logik“ wäre dann aber Stalin wenigstens nicht verantwortlich.
Weil die Denkart der antikommunistischen Propagandisten allerdings mit Logik nichts im Sinn hat, sind wir sicher: Hätte Stalin kapituliert, hätten Snyder, „Spiegel“ und Co. ihm und dem Kommunismus gleich alle Toten auf die Rechnung geschrieben.
Jörg Weidemann