Hungersnot in Ostafrika – systembedingte Katastrophe
In Ostafrika (Äthiopien, Eritrea, Somalia, Kenia, Sudan) sind zehn bis zwölf Millionen Menschen von einer der verheerendsten Hungersnöte seit Jahrzehnten betroffen.
Nachdem zweimal die Regenzeiten ausgefallen sind, sind die Früchte auf den Feldern vertrocknet und das Vieh verhungert oder verdurstet. Zehntausende Menschen sind ebenfalls schon verhungert.
Weitere Zehntausende müssen fliehen. Sie ziehen tagelang zu Fuß durch ausgetrocknete Landschaften, um in überfüllten Flüchtlingslagern der Vereinten Nationen Rettung zu finden. Die drei Flüchtlingslager in Dadaab im Osten Kenias, ursprünglich für 90.000 Menschen gedacht, sind unterdessen mit fast 400.000 Menschen völlig überfüllt. Und täglich kommen Tausende neue erschöpfte Flüchtlinge. Viele Alte, Kranke und Kinder sterben schon unterwegs. Viele Kinder sind so unterernährt, dass auch Infusionen sie nicht mehr retten können.
Kein unabwendbares Naturereignis
Was sich in Afrika und anderen Regionen der Welt anbahnt, ist nicht einfach Folge einer einzelnen Ursache, sondern Ausdruck eines mehr und mehr krisenhaften und untauglichen Systems.
Das betrifft zum einen die heraufziehende globale Klimakatastrophe und ihre ersten Auswirkungen. Sie zeigt sich in einer Verschiebung der Regenzeit in den betroffenen Regionen oder ihrem Ausbleiben. Laut Weltagrarbericht von 2008 sind vor allem aus diesem Grund die ärmsten Länder nördlich und südlich des Äquators von bis zu 50 Prozent Rückgang der Produktivität in der Landwirtschaft betroffen. (UNEP, 2008)
Die weltweiten Nahrungsmittelpreise sind inzwischen auf einem Rekordniveau. Der FAO-Preisindex für Nahrungsmittel (Getreide, Fleisch, Milch, Öle und Fette und Zucker) ist von Mai 2010 bis Mai 2011 um mehr als 36 Prozent gestiegen und liegt mit 232 Index-Punkten über dem Rekordjahr 2008.
Die Weltgetreideernte wird seit Jahren zusätzlich verknappt durch die Erzeugung von sogenanntem „Bio“sprit. So ist den Statistiken der FAO zu entnehmen, dass in den letzten drei Wirtschaftsjahren seit 2008/09 die Getreideproduktion den Gesamtverbrauch immer weniger decken kann. Für 2010/11 wird eine Unterdeckung um ca. 37 Millionen Tonnen erwartet. Aber allein 142 Millionen Tonnen Getreide werden im gleichen Zeitraum in Ethanol (Biosprit) verwandelt und verbrannt.
Die Schätzungen für die landwirtschaftlichen Nutzflächen, die weltweit von reichen Ländern, Konzernen und Hedgefonds aufgekauft wurden, besser bezeichnet als „land grab“ (Landraub), belaufen sich allein für das Jahr 2009 auf 65 bis 80 Millionen Hektar. Genaue Zahlen sind schwer zu bekommen, weil die Verträge in der Regel geheimgehalten werden. In Äthiopien, um nur ein Beispiel zu nennen, will der indische Unternehmer Karuturi nach eigenen Angaben auf 300.000 Hektar Blumen, Reis, Zuckerrohr, Mais und Palmöl für den Export anbauen lassen und betreibt dieses Geschäft auch schon auf 120.000 Hektar. Der saudische Milliardär Mohamed Al-Amoudi will dort 500.000 Hektar für den Export von Reis erwerben. Für diesen Anbau werden enorme Wassermengen benötigt, die den Grundwasserspiegel absenken und so zur Dürrekatastrophe beitragen.
Seit Generationen ernähren die Kleinbauern auf diesen Ländereien mit Holzpflug und Ochsen ihre Familien. Sie besitzen aber keine Papiere, die ihnen das Recht auf das Land einräumen, weil das gesamte Land dem Staat gehört. Sie müssen auf weniger fruchtbare Gebiete ausweichen oder sie vermehren das Heer der Hungernden.
Neokoloniale Ausplünderung Afrikas
In Afrika kommt dazu, dass zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen wie z. B. in Somalia, Ostkongo oder im Sudan – oft auch Stellvertreterkriege der Imperialisten um den Einfluss auf Rohstoffvorkommen – die Bebauung des Landes erschweren oder unmöglich machen. Zunehmend behindert wird das auch durch den regelrechten Verfall der Infrastruktur in Regionen, die für die imperialistischen Investitionen oder Rohstoffinteressen nicht von Bedeutung sind.
Selbst bürgerliche Kommentatoren kommen nicht umhin, einen Zusammenhang zum gesamten heutigen System der Nahrungsmittelproduktion einzuräumen. So heißt es in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 2. Juli: „Die internationale Nahrungsmittelproduktion steckt in einer tiefen Krise. Betroffen ist die gesamte Industrie. Institutionen wie die FAO (Food and Agriculture Organisation) oder die Forschungseinrichtungen wie das IFPRI (International Food Policy Research Institute) warnen vor dem systemischen Zusammenbruch.“
Weltweit breitet sich der Hunger wieder aus
Im Dunkeln bleibt dabei aber oft, was die Ursache dieser krisenhaften Entwicklung ist. Es ist das System der Diktatur des internationalen Finanzkapitals, das mehr und mehr die gesamte Nahrungsmittelproduktion seinen Kapitalinteressen unterwirft.
Die Hungerkatastrophe in Ostafrika und die Explosion des Hungers in der ganzen Welt bei gleichzeitigen Rekordernten zeigen die tiefe Verfaultheit des kapitalistischen Weltsystems. Für eine erste Linderung der Hungerskatastrophe in Ostafrika wären rund 500 Millionen US-Dollar bis Ende des Jahres nötig. Angela Merkel hat in Kenia gerade mal peinliche fünf Millionen Euro an Hilfen zugesagt. Die von der Bundeskanzlerin Angola angebotenen Patrouillenboote werden dagegen allein 200 Millionen Euro (also fast 300 Millionen US-Dollar) kosten (siehe dazu auch S. 6). Die Völker der Welt können keine nachhaltige Hilfe von den Imperialisten im Kampf gegen den Hunger erwarten.
Bewahrung der Kleinproduktion oder vorwärts zum Sozialismus?
Auch die heute noch in vielen abhängigen Ländern vorherrschende individuelle Kleinproduktion ist nicht in der Lage, die Ernährung der Menschheit zu sichern und genügend qualitativ hochwertige Nahrungsmittel zu erzeugen. Das ist dauerhaft und nachhaltig nur möglich, wenn die Produzenten planmäßig zusammenarbeiten, wenn moderne Anbaumethoden mit den wertvollen Erfahrungen und der Produktivkraft der nach Milliarden zählenden Landbevölkerung kombiniert werden sowie Methoden wie wassersparender Anbau, gezielte Düngung, Verhinderung von Bodenerosion usw. systematisch angewendet werden.
Jean Ziegler, früherer UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, macht in seinen Vorträgen und Interviews deutlich, was heute bereits möglich wäre: „Jeden Tag sterben hunderttausend Menschen am Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen. … Laut Welternährungsorganisation aber könnte die derzeitige Landwirtschaft problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren, also das Doppelte der Menschheit.“ (Interview mit dem „Tagesspiegel“ vom 23. 2. 2009)
Die hungernden Massen in Ostafrika haben denkbar schwerste Bedingungen, den Kampf gegen diese Entwicklung und ihre Folgen aufzunehmen, begehren aber dennoch zum Teil mutig dagegen auf. In Somalia gab es bereits 2008 Proteste von Zehntausenden, als eine Welle von Hungeraufständen gegen die steigenden Lebensmittelpreise um die Welt ging. Am 7. Juli demonstrierten in der kenianischen Hauptstadt Nairobi rund 1.000 Menschen gegen die steigenden Lebensmittelpreise und die Verschwendung von staatlichen Mitteln. Als sie in Richtung Präsidentenpalast zogen, wurden sie von der Polizei angegriffen und viele von ihnen verletzt. Die ICOR („Internationale Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen“) hat sich zur Aufgabe gemacht, solche Kämpfe mit dem Ziel des Sozialismus und der Unterstützung des Aufbaus revolutionärer Parteien in den verschiedenen Ländern zu verbinden.