Sexuelle Belästigung – ein Thema für die Betriebsversammlung?
Ruhrgebiet (Korrespondenz): „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“ stand auf der Tagesordnung der Betriebsversammlung. Man sollte meinen, in einem Betrieb, in dem 75 Prozent Frauen arbeiten, eigentlich ein untergeordnetes Problem. Das ist es aber keinesfalls, wie sich auch im Verlauf der Betriebsversammlung zeigte.
Bereits im Vorfeld wurde vor allem unter den Kolleginnen die Frage aufgeworfen, „wo fängt sexuelle Belästigung eigentlich an?“ oder „gehört das auf eine Betriebsversammlung?“ Das Thema auf die Betriebsversammlung zu nehmen war mutig, die einleitenden Worte des Betriebsrats aber noch etwas unbeholfen und führten unter den Kolleginnen und Kollegen zum Kichern. Richtig wurde aber herausgearbeitet, dass es auch in dummen Sprüchen zum Ausdruck kommt wie: „Was ist los mit dir, hast du heute schlechten Sex gehabt?“ Die Personalabteilung hielt einen Vortrag darüber, dass sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz schwer geahndet wird und zur Kündigung führt. Das Problem wurde aber völlig heruntergespielt, was zeigt, dass die Geschäftsführung in erster Linie ein Interesse daran hat, dass die Arbeit reibungslos läuft und nicht durch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz „gestört“ wird. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie keine Anstalten macht, in einem Betrieb mit gut 2.000 Beschäftigten eine Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte wählen zu lassen. Diese Frage soll nicht als Klassenfrage behandelt werden, sondern es soll die Klassenzusammenarbeitspolitik nach dem Motto „in der Frage sitzen wir wirklich alle in einem Boot“ organisiert werden.
Ein Redebeitrag einer klassenkämpferischen Kollegin ging auf diese Frage ein.
35 Prozent aller Frauen in der EU wurden Opfer von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz
Sexuelle Belästigung ist eine Form von Belästigung, die insbesondere auf das Geschlecht der betroffenen Person abzielt, um das Selbstvertrauen zu zerstören. Als sexuelle Belästigung gelten unter anderem sexistische und geschlechtsbezogene entwürdigende bzw. beschämende Bemerkungen und Handlungen, unerwünschte körperliche Annäherung, Annäherungen in Verbindung mit Versprechen von Belohnungen und/oder Androhung von Repressalien. Der beste Schutz ist, das Selbstbewusstsein der jungen und auch älteren Kolleginnen zu stärken, indem sie sich organisieren und gemeinsame Kampferfahrungen sammeln. Deshalb ist es eine wichtige Frage der gewerkschaftlichen Frauenarbeit.
In der Diskussion besonders nach der Versammlung wurde deutlich, dass es gerade deshalb eine komplizierte Frage ist, weil sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oft sehr subtil ist und man solche Sprüche schon normal findet – oder sogar selbst macht. So denkt erst mal spontan fast jeder, „das betrifft mich nicht“. Gerade einige junge Kolleginnen und Auszubildende erzählten, dass sie oft angemacht werden von Vorgesetzten und wenn sie die Abteilung betreten, beurteilt werden wie „Frischfleisch“. Das drückt aufs Selbstbewusstsein.
Viele kommen sich zickig und humorlos vor und kritisieren die Kollegen dann nicht
Nicht selten richtet sich eine sexistische Anmache besonders gegen selbstbewusste kämpferische und revolutionäre Kolleginnen, die ihren Mund aufmachen und Kampfaktionen organisieren. Deshalb darf man sich nicht anpassen, indem man selbst teilweise so redet und nur aus Äußerlichkeiten das Selbstbewusstsein zieht.
Die Betriebsversammlung war ein guter Anlass, diese Fragen mit den Kolleginnen zu diskutieren, bzw. die Diskussion zu beginnen. Viele haben einen klaren Klassenstandpunkt zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz, aber bisher kaum zur subtilen Wirkung des Sexismus auf unsere Denkweise.
In unserer marxistisch-leninistischen und gewerkschaftlichen Frauenarbeit muss dieses Thema unbedingt weiter auf die Agenda, damit die proletarische Frauenbewegung zum festen Rückgrat der kämpferischen Frauenbewegung wird.