Das war die Diktatur des Proletariats
140 Jahre Pariser Kommune, Teil 4
Es bestätigte sich, was Marx betonte: Die Defensive ist der Tod des revolutionären Aufstands. Die revolutionäre Bewegung loderte in ganz Frankreich. Ähnlich wie in Paris waren im Frühjahr 1871 Kommunen in den meisten Großstädten, z.B. in Lyon, Toulouse, Marseille, Narbonne usw. entstanden, die jedoch isoliert waren und rasch niedergeschlagen wurden. „So erloschen die Revolten der großen Städte, eine nach der anderen, wie die Nebenkrater erloschener Vulkane“, schrieb Prosper Lissagaray, einer der Chronisten der Pariser Kommune. („Geschichte der Kommune von 1871“, Rütten & Loening Berlin, S. 155) In Paris dagegen biss sich die Reaktion vorerst die Zähne aus. Dort war am 18. März die Macht in die Hände des Proletariats übergegangen. Das von den Delegierten aus 215 Bataillonen der Nationalgarde gewählte Zentralkomitee übernahm die Regierung. Zum ersten Mal wurde die bürgerliche Staatsmaschine mit ihren Ministerien, ihrer Armee und Polizei zerstört und an deren Stellen die Diktatur des Proletariats errichtet. Am 26. März fanden in Paris die Wahlen zur Kommune unter dem Schutz der Nationalgarde statt.
Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Da wirklich freie Wahlen mit gleichen Rechten für alle Mitglieder stattfanden, hatten auch in der Zusammensetzung des Rates der Kommune Arbeiter die Mehrheit von 51,8 Prozent gegenüber 38 Prozent Vertretern der Intelligenz. Am 28. März wurde die Liste der gewählten Ratsmitglieder vor dem Rathaus bekanntgegeben. Eine Menge von 200.000 lauschte, als Ranviers Norten unter den Klängen der Marseillaise erklärte: „Im Namen des Volkes, die Kommune ist proklamiert!“
Das erste Dekret …
… war die Abschaffung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch das bewaffnete Volk. Neben der Auflösung der materiellen Macht der alten Regierung „ging die Kommune sofort darauf aus, das geistliche Unterdrückungswerkzeug, die Pfaffenmacht, zu brechen“ (Marx). Die Kirchen wurden als besitzende Körperschaften aufgelöst. Die Pfaffen wurden gezwungen, sich durch freiwillige Almosen der Gläubigen zu nähren. Alle Unterrichtsanstalten waren für alle Schichten zugänglich und kostenlos und die Kirchen aus den Schulen verbannt.
Es folgten zahlreiche Dekrete und Maßnahmen, die Rechte für die Massen beinhalten, wie es sie heute in dem sogenannten bürgerlich-demokratischen Rechtsstaat nicht gibt: Am 29. März erließ die Kommune den Armen die rückständigen Wohnungsmieten vom Oktober 1870 bis April 1871. Am 2. April setzte sie das Höchstgehalt für alle Angestellten der Kommune auf maximal 6.000 Francs im Jahr, und legte fest, dass die Kommune eine „arbeitende Körperschaft“ im Dienste des Volkes sein muss, was niemandem das Recht gibt, sich durch öffentliche Ämter zu bereichern. Am 16. April verfügte sie, dass alle Fabriken und Werkstätten, deren Besitzer nach Versailles geflohen waren, an Arbeitergenossenschaften übergeben werden und diese wiederum in einem großen Verband der Genossenschaften zusammengefasst werden. Am 5. April erließ sie das Dekret über die Gleichberechtigung der Frau. In einem weiteren Dekret wurde „in Erwägung, dass die Fahne der Kommune die Fahne der Weltrepublik ist“, bestimmt, dass Ausländer, die der Kommune dienen, die gleichen Rechte haben, zu wählen und gewählt zu werden. Auf Antrag der Bäcker wurde die Nachtarbeit für Bäckereien verboten und Lohndrückerei unter Strafe gestellt.
Vieles blieb bei Dekreten. Der Pariser Kommune war nicht die Zeit gegeben, sie in die Tat umzusetzen.
Das historische Verdienst der Kommune …
… war die Errichtung der Diktatur des Proletariats. Sie versetzt bis heute die Herrschenden in Schrecken. Marx und Engels sahen in der Diktatur des Proletariats die notwendige Form der Klassenherrschaft der Arbeiterklasse zur Überwindung des Kapitalismus und den Übergang zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. Im deutschen Vorwort zur 1872 herausgegebenen Ausgabe des „Kommunistischen Manifest“ von 1848 haben sie betont, dass die Entwicklung der Klassenkämpfe dies „im ganzen und großen ihre Richtigkeit“ bestätigt, dass sie aber aufgrund der Erfahrung der Kommune in Hinsicht der Machtfrage das Manifest präziser fassen würden. Denn, so Engels, sie war „die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.“ Es gehört schon einiges dazu, wenn linke Blätter, wie die „Junge Welt“ und das „Neue Deutschland“ in ihren Ausgaben zur Würdigung der Pariser Kommune diesen Begriff nicht mal erwähnen. Stattdessen ist im Neuen Deutschland vom 18. 3. 11 zu lesen: „Marx hat es vermieden, sich in dieser Frage festzulegen. Niemand kann voraussehen, was die geschichtliche Entwicklung am Ende hervorbringt. Am Beispiel der Kommune, dies dürfte unstrittig sein, plädierte er für radikaldemokratische Organisationsformen und Mehrheitsentscheidungen auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts.“
Dazu Engels eindeutig zum 20. Jahrestag der Pariser Kommune in der Einleitung zum „Bürgerkrieg in Frankreich“ von Karl Marx: „Der deutsche Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats.“ (Marx/Engels, Werke, Bd. 22, S. 199)