Teil 4 von 8

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140 Jahre Pariser Kommune - Der bewaffnete Aufstand

Alle Erfahrungen der Arbeiter seit der großen bürgerlichen französischen Revolution 1789 lehrten sie: jede revolutionäre Erhebung, die sich lediglich mit der Umwandlung des feudalen Staates in eine bürgerliche Republik begnügte, hebt die Ausbeutung und Unterdrückung nicht auf. Im Gegenteil, Elend und Unterdrückung verschärften sich.

Von Wolf-Dieter Rochlitz
140 Jahre Pariser Kommune - Der bewaffnete Aufstand
Nationalgardisten stürzen das Symbol der Reaktion: die Vendôme-Säule

Marx zog die erste grundlegende Lehre aus der Pariser Kommune: „… die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen.“ (Marx/Engels, Werke, Bd. 17, S. 336)

Das Pariser Proletariat setzte seine eigene Staatsmaschinerie in Bewegung: Die von den Arbeitern mehrheitlich bestimmte bewaffnete Macht war die „Nationalgarde“. Sie hatte die Alleinherrschaft in Paris. Ihre Führung, das Zentralkomitee, erließ schon unmittelbar am 18. März 1871 einen Aufruf zur demokratischen Wahl der Kommune. Ihr wollte es die Macht, die ihr in die Hände gefallen war, übergeben. Ihre eigene Aufgabe sah die Nationalgarde in dem militärischen Schutz der künftigen Arbeiterherrschaft. Wie notwendig diese bewaffnete Volksmacht war, zeigte sich schon vier Tage nach dem 18. März.

Die Reaktion erhebt ihr Haupt

Marx schildert diesen Versuch der Reaktionäre, die Verhältnisse wieder zu ihren Gunsten zu wenden:

„Die ,Ordnungsmänner‘, die Reaktionäre von Paris, zitterten bei dem Siege des 18. März. Für sie war es das Wahrzeichen der endlich hereinbrechenden Volksvergeltung. Die Gespenster der unter ihren Händen gemordeten Opfer, von den Junitagen 1848 bis zum 22. Januar 1871, stiegen vor ihren Augen empor. Ihr Schrecken war ihre einzige Strafe. Selbst die Polizeisergeanten, statt wie sich’s gebührte, entwaffnet und eingesperrt zu werden, fanden die Tore von Paris weit geöffnet, um sicher nach Versailles zu entkommen. (…)

Am 22. März setzte sich von den Stadtvierteln des Wohllebens ein Zug ,feiner Herren‘ in Bewegung, (…) Unter dem feigen Vorwand einer friedlichen Demonstration, aber im geheimen gerüstet mit den Waffen des Meuchelmörders,ordnete sich diese Bande, entwaffnete und mißhandelte die Posten und Patrouillen der Nationalgarde, auf die ihr Zug stieß, und, aus der Rue de la Paix in die Place Vendôme vordringend, versuchte sie, unter dem Ruf: ,Nieder mit dem Zentralkomitee! Nieder mit den Mördern! Es lebe die Nationalversammlung!‘ die dort aufgestellte Wache zu durchbrechen und so das dahinter gelegene Hauptquartier der Nationalgarde zu überrumpeln.

Als Antwort auf ihre Revolverschüsse wurden die regelmäßigen gesetzlichen Aufforderungen an sie gemacht; als diese wirkungslos blieben, kommandierte der General der Nationalgarde Feuer. Eine Salve zerstreute in wilde Flucht die albernen Gecken, (…) Sie ließen zurück zwei Nationalgarden tot, neun schwerverwundet (darunter ein Mitglied des Zentralkomitees) und den ganzen Schauplatz ihrer Großtat bestreut mit Revolvern, Dolchen und Stockdegen, zum Zeugnis des ,unbewaffneten‘ Charakters ihrer ,friedlichen‘ Demonstration.“ (Marx/Engels, Werke, Bd. 17, S. 332f)

Unverzeihliche Fehler

Marx kritisierte, dass angesichts dieser Schwäche der Reaktion das „Zentralkomitee sich eines entscheidenden Fehlers dadurch schuldig (machte), daß es nicht sofort auf das damals vollständig hilflose Versailles marschierte und damit den Verschwörungen des Thiers und seiner Krautjunker ein Ziel setzte.“

Ein zweiter Fehler der Kommune war, dass sie die Nationalbank nicht enteignete und in den Händen der Reaktion beließ. Die Anhänger des kleinbürgerlichen Revolutionärs Proudhon propagierten die freie Entfaltung der kapitalistischen Wirtschaft und widersetzten sich jedem Eingriff in das Wirtschaftleben.

Der bewaffnete Aufstand ist eine Kunst

Marx hatte die Führer der Pariser Kommune Wochen zuvor immer wieder gewarnt, einen übereilten Aufstand zu beginnen.

Als dieser dennoch mit dem 18. März spontan erfolgte, machte er ihnen keine Vorwürfe, sondern tat alles, um die revolutionären Aufständischen zu unterstützen. Dabei orientierte er sich an den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Strategie und Taktik des bewaffneten Aufstands und seiner Auswertung aller bisherigen Revolutionen:

„Nun ist der Aufstand eine Kunst, genau wie der Krieg oder irgendeine andere Kunst, und gewissen praktischen Regeln unterworfen, deren Vernachlässigung zum Verderben der Partei führt, die sich ihrer schuldig macht. (…) hat man einmal den Weg des Aufstands beschritten, so handle man mit der größten Entschlossenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jedes bewaffneten Aufstands; er ist verloren, noch bevor er sich mit dem Feind gemessen hat. Überrasche deinen Gegner, solange seine Kräfte zerstreut sind, sorge täglich für neue, wenn auch noch so kleine Erfolge; erhalte dir das moralische Übergewicht, das der Anfangserfolg der Erhebung dir verschafft hat; ziehe so die schwankenden Elemente auf deine Seite, die immer dem stärksten Antrieb folgen und sich immer auf die sicherere Seite schlagen; zwinge deine Feinde zum Rückzug, noch ehe sie ihre Kräfte gegen dich sammeln können; um mit den Worten Dantons, des größten bisher bekannten Meisters revolutionärer Taktik zu sprechen: de l’audace, de l’audace, encore de l’audace!“ („Kühnheit, Kühnheit und nochmals Kühnheit“) (Marx/Engels, Werke, Bd. 8, S. 95)