Kann man Atomkraftwerke abwählen?
Am Wochenende nach der Atomkatastrophe in Japan steht die Merkel/Westerwelle-Regierung in Nibelungentreue zur deutschen Atomkraft. Noch am 12. März hält Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) „politische Diskussionen über die Sicherheit und Laufzeit von Kernkraftwerken in Deutschland für völlig deplaziert“. (Spiegel-Online, 12. 3. 11)
Aber der Plan geht nicht auf. Schon am Wochenende demonstrieren 60.000 Menschen in Deutschland für die Abschaltung aller Atomkraftwerke. Am Montag, den 15. März beteiligen sich in rund 450 Städten bis zu 120.000 Menschen an Protestaktionen. Jetzt bricht hektische Betriebsamkeit in der Regierung aus. Binnen weniger Stunden werden sieben Atomkraftwerke zeitweilig vom Netz genommen. Niemals wäre dies ohne den Massenprotest erfolgt! Eine Woche später, am 21. März, finden Aktionen in 742 Städten mit über 140.000 Menschen statt. Am 26. März beteiligt sich erneut eine Viertel Million Menschen an vier Demonstrationen.
Die Regierung befindet sich mit ihrer Atompolitik im krassen Widerspruch zur übergroßen Mehrheit der Bevölkerung. Das ist ein großer Verdienst der seit Jahrzehnten aktiven und starken Anti-AKW-Bewegung in Deutschland. Gegen den Willen von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland setzte die Regierung die Verlängerung der Laufzeiten durch. Ihre viel gepriesene „Demokratie“ ist nur Fassade. Hier erscheint das wahre Wesen der Diktatur der Monopole. Ginge es wirklich nach dem „Willen der Mehrheit der Bevölkerung“, wären die Atomkraftwerke längst stillgelegt und kein deutscher Soldat in Afghanistan.
Die grüne Parteispitze um Claudia Roth, Jürgen Trittin und Cem Özdemir setzt offenbar auf eine geringe Halbwertszeit im Gedächtnis der Bevölkerung. Schon vergessen? Die Grünen waren von 1998 bis 2005 mit der SPD in der Regierung!
Ergebnis waren Kriegseinsätze der Bundeswehr in Jugoslawien und Afghanistan, die Agenda 2010 mit den Hartz-Gesetzen und eine flächendeckende Müllverbrennung in Deutschland.
Auch vor den Energiemonopolen ist die Schröder/Fischer-Regierung in die Knie gegangen und hat ihnen eine Laufzeitverlängerung bis 2020 geschenkt. Frech und irreführend wurde dieser „Konsens“ noch als „Atomausstieg“ verkauft. „Die Bundesregierung gewährleistet den ungestörten Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung“, das stand in Trittins Vereinbarung mit den Energiemonopolen. Und mit dieser Maxime verabschiedeten sich Jürgen Trittin und die regierungsamtlichen Grünen auch aus der Protestbewegung z.B. gegen die Castor-Transporte.
Jetzt geben sich die grünen Spitzenparlamentarier in der Opposition geläutert. Aber bis heute fordern sie nicht die sofortige Stilllegung aller Atomkraftwerke. Erst 2017 wird das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet, geht es nach der Grünen-Spitze. Bis heute hat man kein Wort der Selbstkritik zu ihrer Regierungspolitik gehört. Die „Läuterung“ ist nur ein neuer Etikettenschwindel.
Die Grünen haben sich von einer ökologischen Protestpartei längst zu einer kapitalismuskonformen, staatstragenden Monopolpartei entwickelt, auch wenn eine große Masse ihrer Mitglieder immer an konsequent umweltpolitischen Zielen festgehalten hat. Ihre führenden Repräsentanten sind Träger des imperialistischen Ökologismus, in Worten ökologisch, in Taten imperialistische Politik! Demnach könne die Umwelt nur im Bündnis mit den Kapitalisten und unter Berücksichtigung ihrer Profitinteressen gerettet werden.
Längst haben die führenden Monopole die Flagge des Umweltschutzes als Instrument des internationalen Konkurrenzkampfes, Kapitalanlage und Feld der Profitmaximierung entdeckt. Besonders pervers: der (Ablass)-Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten, die Konzernen von der Regierung gewährt werden. Mit ihnen kann an Börsen um zusätzliche Profite geschachert werden. Unter der Flagge des „Umweltschutzes“ wird heute vom internationalen Finanzkapital und den mit ihnen verbündeten imperialistischen Regierungen nicht selten reine Machtpolitik betrieben. Im „Greenwashing“ sind deutsche Monopole Weltspitze: So erklärt Siemens-Chef Peter Löscher im April 2009 seinen Konzern zum Anführer der „grünen Revolution“. Das nur einen Monat, nachdem er ein Joint Venture mit der russischen Rosatom unterschrieben hat, um Weltmarktführer in Sachen Atomenergie zu werden.
Statt auf Appelle oder „Greenwashing“ setzt die MLPD auf den breiten, überparteilichen und aktiven Widerstand weltweit. Argumenten und mahnendem Gedenken sind die Konzerne nicht zugänglich! Gemahnt hat die Anti-Atomkraft-Bewegung seit 40 Jahren!
Berechtigt werden auch Versuche kritisiert, Protestaktionen zu Werbe-Veranstaltungen für Öko-Strom-Anbieter umzufunktionieren. Die Losung „Atomausstieg selber machen“ ist ungeeignet, die Energiemonopole in die Knie zu zwingen. So sinnvoll es ist, im privaten Bereich auf erneuerbare Energien zu setzen, unter den kapitalistischen Machtverhältnissen können „Boykottmaßnahmen“ Missstände höchstens aufzeigen und allenfalls Zeichen setzen.
Dass die Regierung auf Zeit spielt mit ihrem sogenannten „Moratorium“, liegt für die Mehrheit auf der Hand. Auch wenn sich Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nicht auch noch verplappert hätte. Wenn die Regierung jetzt die angeblich sichersten Atomkraftwerke der Welt erneut einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen will, ist höchstes Misstrauen angebracht. Es liegt an uns, ob sie die Atomkraft mit solchen „Tricks“ durch die Krise retten können.
Die Genossinnen und Genossen der MLPD stehen mit vielen Mitgliedern der Grünen und auch der Linkspartei in der ersten Reihe bei den Protesten. Die Gretchenfrage an die Linkspartei ist, ob sie es bei Appellen im Bundestag belässt, die AKWs „unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Verzögern, stillzulegen“16, oder sich am aktiven Widerstand zur sofortigen Stilllegung beteiligt.
Die MLPD hat über ihre Verbindungen in der ICOR, der internationalen Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen, weltweit sofort informiert, begonnen, den Protest zu entwickeln und zu koordinieren.
Drei Flugblätter der MLPD wurden unter anderem auf Japanisch übersetzt. Sie kursieren weltweit im Internet. Die japanische Gewerkschaft „Allied Labour Unions of Independence (ALUI) bedankte sich bei der MLPD „für die japanische Übersetzung eurer Erklärung. ... Unser Ziel (ist) die Stilllegung aller Atomkraftwerke und das Stoppen des Atomprogramms und ein grundlegender Wandel dieser volksfeindlichen Politik und Gesellschaft. Wir sind entschlossen, unser Bestes im Dienst der Arbeiterklasse in Japan zu tun. Eure Anteilnahme, Solidarität und euer Rat werden für uns die beste Inspiration sein.“
Auch in Deutschland werden Belegschaften aktiv, wie in Schweinfurt, wo sich am 21. März Arbeiter während der Arbeitszeit an Protestaktionen beteiligt haben. Die deutsche Umweltbewegung hat große Verantwortung für die weltweite Aufklärung über die Gefahren des Atomtods und wie er verhindert werden kann und muss.
Die beste Solidarität und Anteilnahme an der japanischen Atomkatastrophe ist, die sofortige Stilllegung aller Atomkraftwerke auf Kosten der Betreiber durchzusetzen. Nicht im Vertrauen auf Regierung und Parlamente, sondern durch aktiven Widerstand, weltweit koordiniert. Mit gemeinsamen Protestaktionen, Demonstrationen bis hin zu Streiks. Oder in Widerstandsgruppen gegen Atomtod und Klimakatastrophe, die der Jugendverband der MLPD, der REBELL, gegenwärtig aufbaut.
Die MLPD unterstützt die Initiative, den 26. April, den 25. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl, zu einem weltweiten Kampftag gegen den Atomtod zu machen. Sie unterstützt auch alle diesbezüglichen Aktivitäten um Ostern.
Kleinbürgerlicher und imperialistischer Ökologismus
Der imperialistische Ökologismus ist zu einer wesentlichen Methode der versuchten imperialistischen Krisenbewältigung, des internationalen Konkurrenzkampfes und der Zwangsmaßnahmen gegenüber den neokolonial ausgebeuteten und unterdrückten Ländern geworden. ... Der kleinbürgerliche Ökologismus setzt vor allem auf die vermeintliche „Macht der Argumente“ in krassen, möglichst schwarzmalend formulierten Aufklärungskampagnen, auf spektakuläre und individualistische Aktionen, verbreitet Skepsis in die Arbeiter sowie in die breiten Massen und propagiert eine Umweltbewegung auf der Grundlage des modernen Antikommunismus. (Dokumente des VIII. Parteitags der MLPD, Oktober 2008)
16 Gregor Gysi im Bundestag, 15. 3. 11