Politischer Aschermittwoch in revolutionärer Tradition - Rede des MLPD-Vorsitzenden Stefan Engel am 17. Februar in Gelsenkirchen

Über 400 Gäste waren am 17. Februar der Einladung der MLPD zum politischen Aschermittwoch im Kultursaal der Horster Mitte in Gelsenkirchen gefolgt. Stefan Engel begeisterte mit seiner Rede.

Stefan EngelLiebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Freundinnen und Freunde,

liebe Genossinnen und Genossen,

offensichtlich gilt in den Köpfen vieler Menschen der politische Aschermittwoch als die kuriose Fortsetzung des Karnevals. Auch unsere Redakteure der Roten Fahne haben unseren politischen Aschermittwoch unpassend mit „Helau“ und „Alaaf“ angekündigt.

Fälschlich wird der Aschermittwoch manchmal auch als Tradition etwa der CSU oder der anderen bürgerlichen Parteien angesehen, die an diesem Tag alljährlich ihren dümmlichen Budenzauber veranstalten.

Erstmals lädt übrigens auch die Gelsenkirchener CDU zum politischen Aschermittwoch ein. Als „hochkarätigen Gast“ hat sie ausgerechnet Oliver Wittke eingeladen, jenen Oberbürgermeister also, der einstmals vergeblich auszog, um zu verhindern, dass die MLPD die Horster Mitte kriegt. Er hat dann ebenfalls mit zweifelhaftem Erfolg noch veranlasst, dass die Horster Mitte im Grundbuch mit dem Bannstrahl des Verbots politischer Versammlungen versehen wurde. Und da wir nun mal an die freiheitlich-demokratische Grundordnung glauben, würde es uns niemals auch nur im Traum einfallen, Rechtsbruch zu begehen und hier eine politische Versammlung abzuhalten. Hier ist alles Kultur, wie es sich für einen Kultursaal der Horster Mitte gehört!

Heute will also Oliver Wittke versuchen, einen Teil der Freunde des politischen Aschermittwochs von der Horster Mitte in die Taubenstraße 108 umzuleiten. Böse Zungen behaupten, in diesen Minuten sei der 26. Veranstaltungsteilnehmer vom Stadtverordneten Heinberg mit dem Rollstuhl aus dem nahe liegenden Altersheim in den Bülser Hof verbracht worden. Der Ärmste!

Wir dagegen freuen uns über ein volles Haus! Trotz Grundbucheintrag, trotz unpassender Ankündigung aus eigenem Hause und trotz der hochkarätigen Konkurrenzveranstaltung! Herzlich willkommen!

Der politische Aschermittwoch entstand in Wirklichkeit im revolutionären Gewoge der Novemberrevolution 1918/19 in Bayern. Wir sind stolz darauf, diese revolutionäre Tradition wieder aufzugreifen!

Nun hatte ich heute schon eine Aschermittwochsveranstaltung. Es ging um den zweiten Prozesstermin zur Kündigung meiner privaten Konten durch die Commerzbank vor einem Jahr. Amüsant war wieder der zweifelhafte Versuch der Commerzbank, die politischen Motive dieser Kontokündigung strikt zu bestreiten. Nicht etwa, weil die politischen Motive nicht bestehen. Sondern weil die Commerzbank natürlich weiß, dass das grundgesetzwidrig ist. Wer also einen politischen Bankenboykott inszenieren will, muss das so hinter formalen Paragraphen verbergen, nach denen keine Bank die Gründe für die Aufkündigung von Geschäftsbeziehungen offen legen muss.

Nachdem wir diese Farce bereits auf dem ersten Prozesstermin widerlegt hatten und der Richter die Commerzbank verpflichtete, die wahren Gründe für die Kündigung offen zu legen, weigerte

sich die Commerzbank, diese Auflage des Richters einzuhalten. Dabei liegt längst auf der Hand: Die Kündigung des privaten Kontos von mir und meiner Lebenspartnerin ist die dritte Stufe eines seit Jahren gegen die MLPD verfügten Bankenboykotts.

Die erste Stufe war die Verweigerung von Krediten für die Immobilienverwaltung und für Investitionen unserer parteieigenen Gebäude – ausgehend von der Sparkasse Gelsenkirchen. Die zweite Stufe war die Kündigung der unmittelbaren Geschäftskonten der MLPD.

Die dritte Stufe ist die Ausdehnung dieses politischen Bankenboykotts auf Privatpersonen, die für die MLPD stehen.

Bei dem heutigen Prozess ging es um nicht mehr oder nicht weniger als darum, ob dieser exzessive Bankenboykott weiter durchgeführt werden darf oder nicht.

Mit dem wachsenden Medieninteresse wuchs natürlich der politische Preis der Bankenwillkür Die „taz“ und die „junge welt“ „Neues Deutschland“, die „Süddeutsche Zeitung“, die „Frankfurter Rundschau“, die „WAZ“ und „NRZ“, „Financial Times Deutschland“ und natürlich die „Rote Fahne“ widmeten sich diesem Thema. Heute war sogar ein TV-Team von „Spiegel TV“ anwesend.

Das Medieninteresse war durch die breite politische Solidarität entstanden, die natürlich eine übergroße öffentliche Macht darstellte. Das Vorhaben, die ganze Sache stillschweigend und mit formellen Begründungen durch zu ziehen, war also schon einmal in die Hose gegangen. Würde es die Commerzbank also darauf ankommen lassen, sich einer politischen Straftat schuldig sprechen zu lassen, oder würde sie sogar das Gericht offen über die wahren Motive belügen? Wir hatten diese beiden Möglichkeiten im Vorfeld eher gering eingeschätzt und waren nun gespannt, wie sich die Anwälte der Commerzbank verhalten würden. Der Richter wollte eigentlich gar nicht mehr verhandeln und eröffnete seine Versammlung mit Worten des Bedauerns, dass er heute wohl nicht mehr viel Interessantes bieten könnte. Aber wir hatten noch einiges an Interessantem auf Lager. Wir ergriffen sofort das Wort und attackierten die Commerzbank, die sich geweigert hatte, dem Verlangen des Gerichts nachzukommen. Die Zwischeneinwände der gegnerischen Anwälte – diesmal war wohl sogar der Chefanwalt persönlich gekommen –, dass das doch alles gar nicht nachzuweisen sei, was wir hier vorbringen, wurden schnell widerlegt. So legten wir zu und brachten weitere wichtige Argumente, die die Argumentation der Commerzbank wie ein Kartenhaus zusammenfallen ließen. Der gegnerische Anwalt monierte bei Gericht, dass das hohe Gericht seine leitende Funktion vernachlässige und doch beim Vortrag unserer Argumentation einschreiten solle. Was bei dem Richter allerdings nur ein sanftmütiges Lächeln hervorrief.

Als der Richter nun tatsächlich die Verhandlung mit der Bemerkung beendete, dass die Commerzbank selber wissen müsse, ob sie sich zum Gegenstand äußert oder nicht, war offensichtlich, dass das Gericht gewillt war, gegen die Commerzbank zu entscheiden. In dieser Situation warf der gegnerische Anwalt das weiße Handtuch und erklärte seine bedingungslose Kapitulation. „Ich erkenne an!“ säuselte er überraschend in den Gerichtsaal, so dass sich der Sturm der Begeisterung erst gegen ein ungläubiges Staunen Bahn brechen musste.

Wir konnten es gar nicht fassen, aber es lag irgendwie auf der Hand. Der Prozess hatte inzwischen politische Dimension angenommen, die es von der politischen Strategie und Taktik der Commerzbank verlangte, jetzt Schluss zu machen mit diesem Prozess, bevor der politische Flurschaden noch weitergeht. 3 zu 0 für die MLPD! Aber noch ist die Meisterschaft nicht da! Noch besteht der Bankenboykott weiter und wir werden auch mit dem selben Ernst und der selben Angriffslust und der selben Solidarität der Deutschen Bank beim Hauptprozess im Juni / Juli einheizen.  Herzlichen Dank für die solidarische Unterstützung beim Kampf um unsere politischen Rechte und Freiheiten!

Liebe Freunde und Genossen,

stellt euch einmal vor, ihr kauft euch ein neues Auto und euer Autohändler verspricht euch hoch und heilig: „Dieses Auto wird wartungsfrei sieben Jahre fahren – und dann könntet ihr es immer noch für 50 Prozent des Neupreises verkaufen.“ Dann springt nach zwei Wochen das Auto schon nicht mehr an. Beim Einsteigen klemmt die Tür, die Bremsen versagen, und nach einem Jahr steckst du auf der Autobahn zwischen Dortmund und Kassel mit einem Kolbenfresser fest. Kein Mensch würde dem Autohändler noch ein Wort glauben!

Und wie ist es mit unseren bürgerlichen Politikern? Die haben uns alle einen langanhaltenden Aufschwung bis 2020 versprochen. Merkel fügte sogar noch hinzu, damit es allen besser geht! Und dann brach im September 2008 die Weltwirtschafts- und Finanzkrise los – in eine nie da gewesene Talfahrt. Aber unser damaliger „Autohändler“ Glos faselte noch bis Januar davon, dass es sich nur um ein amerikanisches Problem handele.

Für diesen Fehlgriff wurde Gevatter Glos durch den forschen Herrn von und zu Guttenberg ersetzt. Der zeichnete sich weniger durch besondere Kenntnisse von Wirtschaft und Politik aus, als durch ein loses Mundwerk – und das auch noch auf deutsch und englisch! Der Mann hat nur einen Fehler, er hat keinen Knopf zum Ausschalten! Bis zu den Bundestagswahlen redete er uns geradezu besoffen, so dass wir schon geneigt waren zu glauben, die Erde sei eine Scheibe und die Weltwirtschaftskrise würde wahrlich termingerecht zu den Bundestagswahlen zur Neige gehen!

Den Opel-Arbeitern wurde kurz vor den Bundestagswahlen signalisiert, ihre Arbeitsplätze seien jetzt gesichert, der entsprechende Vertrag mit General Motors sei in trockenen Tüchern. Und der beunruhigten Bevölkerung verkündete der Verteidigungsminister Jung Anfang September, dass die selbstverständlich humanitär ausgerichtete Bombardierung gegen eine Personengruppe bei Kundus ohne zivile Opfer gelungen sei.

Mit diesen drei fundamentalen Wahlkampflügen gelang es Bundeskanzlerin Merkel tatsächlich, die Bundestagswahlen als Kanzlerin zu überstehen und anschließend eine neue Regierungsehe mit der Westerwelle-FDP einzugehen. Eine Wunschehe sollte es sein, nach der sich alle 11 Jahre lang gesehnt hatten. Aber nach den Wahlen musste erst einmal einiges zurecht gerückt werden.

Die Weltwirtschafts- und Finanzkrise hatte sich entgegen den Erwartungen unserer politischen Autohändler binnen vier Wochen doch wieder belebt. Jetzt plötzlich sollte es gemäß der  Neujahrsansprache von Merkel sogar erst einmal alles noch schlechter werden, bevor es wieder besser wird. General Motors verkündete mit einem Paukenschlag, dass sie den von der Bundesregierung mit Magna bevorzugten Verkaufsvertrag nicht eingehen würden. Und bei dem Kundusüberfall waren dann doch plötzlich 147 Tote zu beklagen – der Großteil davon harmlose  Zivilisten, Frauen und Kinder, die ohne Vorwarnung mörderische Opfer des aggressiven Nato-Bombardements geworden waren.

Die Aufregung über diese „Neuigkeiten“ war natürlich groß. Die Skepsis der Bevölkerung in die neue Regierung wuchs. Und der frisch gekürte Arbeitsminister Jung musste schon nach vier Wochen seinen Hut nehmen.

Auch in der Chemie zwischen den neuen Regierungspartnern scheint irgend was nicht so ganz zu stimmen. Kaum war der Koalitionsvertrag verabschiedet, wurden mehrmals täglich von einem wild gewordenen Hühnerhaufen aus der Regierung der erstaunten Öffentlichkeit einander völlig widersprechende Interpretationen präsentiert. Die bundesdeutschen Medien bescheinigten der neuen Regierung den schlechtesten Start, den eine Bundesregierung je hingelegt hatte. Die Verschärfung der latenten politischen Krise war unübersehbar.

Liebe Freunde und Genossen, erinnert ihr euch?

Bei unserem letzten politischen Aschermittwoch, war die politische Situation noch viel angespannter. Kurz davor gab es bereits mehrere Generalstreiks – so in Frankreich, in Italien und anderswo. In Island war es zu aufstandsähnlichen Aktionen der Massen gekommen, bis die Regierung gestürzt war. In Lettland kam es zu blutigen Auseinandersetzungen mit dem Staatsapparat. Und Obamas Sicherheitsbeauftragter für die Geheimdienste, Dennis Blair, hatte die große Gefahr der Revolutionierung der Arbeiterbewegung in Europa als die größte Sicherheitsbedrohung der USA festgemacht.

Ehrlich gesagt haben wir zu diesem Zeitpunkt nicht damit gerechnet, dass die imperialistischen Länder gemeinsam in einer nie da gewesenen Großaktion mit den 20 wirtschaftlich bedeutendsten Ländern dieser Welt mindestens 20 Billionen US-Dollar in die Hand genommen haben, um die gröbsten Auswirkungen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise abzumildern. Zweifellos wurde so verhindert, dass das internationale Finanzsystem gnadenlos zusammengebrochen ist. Der Abschwung der Industrieproduktion wurde abgebremst und in eine allgemeine Stagnationsphase übergeleitet.

Aber an den Problemen, die dieser Weltwirtschafts- und Finanzkrise zugrunde liegen, hat sich freilich nichts geändert. Das Kapital sucht nach wie vor nach ausreichenden, maximalprofitbringenden Anlagemöglichkeiten und findet sie nicht. Darüber können weder die Wirkung der Abwrackprämien, noch der gigantischen Bankensubventionen, noch die außerordentlichen, krisendämpfenden Subventionen an die Bauwirtschaft hinwegtäuschen.

Der IWF warnte kürzlich sogar vor einer zweiten Rezession. Die Börsen sind nach wie vor äußerst fahrig, weil kein Mensch so richtig sagen kann, ob der Boden der Weltwirtschaftskrise tatsächlich bereits erreicht ist oder ob weitere Einbrüche nur vorläufig von krisenbremsenden Maßnahmen überlagert werden.

Immerhin sind die Klassenauseinandersetzungen stark zurück gegangen und eine allgemeine Abwartehaltung unter der Bevölkerung hat um sich gegriffen. Diese Abwartehaltung war nicht etwa Überzeugtheit in die Richtigkeit der staatlichen Maßnahmen, sondern tiefe Skepsis, aber auch durchdrungen von vagen Hoffnungen, dass doch alles nicht ganz so schlimm werden würde. Damit wurde die Entwicklung zur offenen politischen Krise oder gar die Weiterentwicklung zu einer revolutionären Krise bisher verhindert.

Inzwischen haben sich bereits wieder neue Spekulationsblasen gebildet: Zum Beispiel in China, auf den Finanzmärkten oder auch auf den Rohstoffmärkten, die jeder Zeit platzen und zu weltweiten finanzpolitischen und wirtschaftlichen Erschütterungen führen können. Unsere regierungsamtlichen Autohändler haben‘s einfach nicht im Griff! Wie bei einem Tanz auf dem Vulkan jonglieren sie mit diesen oder jenen fragwürdigen Maßnahmen, wiegen sich in illusionären Hoffnungen oder auch in Depression über ihre Unfähigkeit, mit der Krise fertig zu werden.

Es war uns die ganze Zeit klar, dass irgendwann von den krisendämpfenden Maßnahmen umgeschaltet wird auf die rigorose Abwälzung der Krisenlasten auf den Rücken der Bevölkerung. Offensichtlich wird aber noch bis später gewartet, vielleicht auch, bis zumindest eine bestimmte wirtschaftliche Belebung eingesetzt hat, die unter keinen Umständen gefährdet werden soll. Wie schnell das Umschalten von krisendämpfenden Maßnahmen zum Abwälzen der Krisenlasten auch zu politischen Massenaktionen führt, sehen wir gerade in Griechenland. Dort versucht man mit einem rigorosen Programm, die Lasten der Krise auf die Massen abzuwälzen um den Staatsbankrott abzuwenden, der unmittelbar durch das Krisenmanagement provoziert worden war.

Selbst bürgerliche Politiker wissen, dass ihr Krisenmanagement eine heiße Geschichte ist. Sie können nicht beliebig Staatsgelder in die Wirtschaft pumpen, ohne zu riskieren, dass der Staat selber zum Gegenstand krisenhafter Entwicklungen wird. Und so rückt der Tag näher, an dem der Hebel umgeschaltet und uns die Rechnung präsentiert wird.

Liebe Freunde und Genossen,

nach den Bundestagswahlen hatten manche erwartet, die neue Koalition würde jetzt direkt auf den Generalangriff auf die Massen umschalten. Doch das war nicht der Fall. Zunächst wird die krisendämpfende Politik fortgesetzt. Jedenfalls wurde das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger verdreifacht, der Kinderfreibetrag erhöht sowie das Kindergeld um 20 € angehoben. Auch die Möglichkeit zur Kurzarbeit wurde weiter ausgeweitet, um Massenentlassungen möglichst zu vermeiden. Jeder sollte den Eindruck gewinnen, jetzt wird es wieder besser. Etwas höhnisch deckte die Zeitung der Großbourgeoisie, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, das Wesen dieser Strategie und Taktik auf: „Erst geben, dann nehmen.“ Das kleine „Geben“ wurde überall rausposaunt. Das groß geplante „Nehmen“ dagegen wurde im Koalitionsvertrag an 87 Arbeitskreise überwiesen oder in bewusst verschwommenen Andeutungen versteckt.

Merkel, Westerwelle, Schäuble, Rösler und Co. - sie alle hatten vorübergehend Kreide gefressen. Damit wollten sie darüber hinwegtäuschen, dass diese Regierung der Monopole eine Weichenstellung für eine offen reaktionären Politik nach innen und außen, für eine Politik der Abwälzung der Krisenlasten auf dem Rücken der Arbeiter und der breiten Volksmassen bedeutet. Aus ihrer kapitalistischen Logik heraus ist den Herrschenden klar, die Krise und die gigantische Staatsverschuldung können sie nur überwinden durch eine gigantische Kapitalvernichtung, durch eine enorme Verschärfung der Ausbeutung und damit Senkung der Produktionskosten durch einen weiteren Reallohnabbau sowie durch massivster Einschnitte in die jahrzehntelangen Errungenschaften im Leben der breiten Massen.

Doch der politische Preis für einen solchen Kurs ist die Gefahr, dass die Massen sich das nicht gefallen lassen und es zu einer offenen politischen – ja, zu einer revolutionären Krise kommen könnte. Das ist der einzige Grund für die vorübergehende Fortsetzung der krisendämpfenden Maßnahmen. Doch damit können die Probleme der Krise nicht gelöst werden, sondern werden lediglich vor sich hergeschoben, beziehungsweise auf eine gigantische Staatsverschuldung verschoben, die wiederum eine galoppierende Inflation provoziert. Der von Finanzminister Schäuble vorgelegte Haushalt mit einer Rekordverschuldung von 100 Milliarden Euro ist ein sichtbarer Ausdruck dieses Dilemmas.

In ihrer Neujahrsansprache beschwor Kanzlerin Merkel ihr Zauberwort „Wachstum“. „Wir wollen mit mehr Wachstum klug aus der Krise kommen ...“ Wachstum heißt nichts anderes als die weitere Anhäufung von Kapital durch die verschärfte Ausbeutung bestehender und neuer Märkte.

Im Mai letzten Jahres hat die MLPD eine Broschüre herausgegeben unter dem Titel „Bürgerliche politische Ökonomie vor dem Scherbenhaufen“. Dort haben wir als Ursache dieser tiefsten Weltwirtschafts- und Finanzkrise eine chronische Überakkumulation des Kapitals in Folge der Neuorganisation der internationalen Produktion festgestellt. Das bedeutet nichts anderes, als dass das Kapital so stark angewachsen ist, dass es keine ausreichenden Maximalprofit bringenden Anlagemöglichkeiten mehr findet. Die Krise brach also nicht etwa aus, weil es zu wenig Geld gab, sondern weil zu viel Kapital angehäuft worden war. Der Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Produktion und der privat-kapitalistischen Aneignung der Wirtschaft entlud sich gnadenlos. Merkel weist das Wachstum des Kapitals als Ausweg aus der Krise aus, steuert damit aber auf die nächste Krise zu.

Auch konkret gibt es eigentlich absolut keine Anzeichen, dass sich die deutsche Wirtschaft innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre davon holen könnte. Das Auslandsgeschäft, von dem die deutsche Wirtschaft fast zu 50 Prozent abhängt, ist im vergangenen Jahr um mehr als 20 Prozent eingebrochen. Die deutsche Industrieproduktion wurde auf das Niveau des Jahres 1999 zurückgeworfen. Das Bruttoinlandsprodukt sank im letzten Jahr um 5 Prozent – ein noch nie da gewesener gesamtwirtschaftlicher Einbruch. Alles optimistische Pfeifen im Wald von einem baldigen Ende der Krise ist absurd. Selbst die Bundesregierung und die Kapitalistenverbände stellen sich auf eine Durststrecke ein. So schreibt Gesamtmetall: Es wird „mindestens zwei bis drei Jahre dauern, ehe wir überhaupt erstmal aus dem Keller wieder ins Erdgeschoss gelangt sind.“

Das Dilemma der Regierung liegt auf der Hand, um die politischen Widersprüche zu dämpfen, muss sie krisenbremsend agieren und auf „schön Wetter“ machen. Je mehr sie aber krisenbremsende Maßnahmen trifft, desto schärfer wird die Überakkumulation des Kapitals, die wie ein Bremsklotz der Belebung der Industrieproduktion entgegen steht. Und desto heftiger wird auch der Staatshaushalt belastet, und damit seine Funktionsfähigkeit ausgehöhlt. Ohne den Staat funktioniert aber die maximalprofitbringende Produktion längst nicht mehr. Subventionen, Steuererleichterungen oder direktes wirtschaftliches Eingreifen sind notwendige Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise geworden. Mit der Aushöhlung des Staats wird die staatsmonopolistische Wirtschaften selbst untergraben und neue verheerende Krisen vorbereitet.

Der Spielraum für das Krisenmanagement ist nicht nur begrenzt, sondern die Wirkung äußerst fragwürdig. Gerade im Vorfeld der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen will die Regierung vermeiden, dass Unruhe aufkommt. Doch die ist schon da! Waren im November nur 30 Prozent mit der Regierung „unzufrieden“, so waren es Ende Januar schon 46 Prozent. Der Hauptgrund: 70 Prozent geben an, dass sich die Regierung nicht am „Gemeinwohl“, sondern an einzelnen Interessengruppen orientiere.

Die FDP wird derzeit meisten abgestraft. Ihr zentrales Wahlversprechen „Steuern runter“ entpuppt sich einmal mehr als grandiose Wahllüge. Dafür bekommt sie jetzt die wohlverdiente Quittung. Sie sackte von erschwindelten 14,6 Prozent bei den Bundestagswahlen auf derzeit 6–8 Prozent Zustimmung ab. Auf einem Krisentreffen verabredete die FDP-Führung, jetzt in die Offensive zu gehen. Mit der Aussage „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein“ tritt FDP-Chef Westerwelle gleich jeder Meinung entgegen, die Zuwendungen der Harz-IV-Empfänger zu erhöhen. Leben etwa 6,5 Millionen Empfänger von Hartz IV in „anstrengungslosem Wohlstand“ und “spätrömischer Dekadenz“?

Die Masse der Arbeitslosen als Faulenzer und Schmarotzer darzustellen – das ist schlicht regierungsamtliche Volksverhetzung! Wenn diejenigen, die mehr arbeiten, auch mehr haben sollen, und die, die weniger arbeiten, entsprechend weniger, dann dürften seine Klientel der Familien Finck, Flick sowie Millionen von Bourgeois-Familien – und natürlich auch er selber – keinen Cent mehr bekommen!

Baron August von Finck, der als reichster Mann Europas gilt und Besitzer der 5-Sterne Hotelkette Mövenpick ist, dankte die Kürzungen der Mehrwertsteuer für Hotels von 19 auf 7 Prozent den Regierungsparteien. 1,1 Millionen hat allein die FDP an Steuergeschenken für die Verabschiedung dieses Günstlingsgesetzes für die Superreichen bekommen.

Das Geplärre des alternden Yuppies Westerwelle hat also einen Klasseninhalt – und natürlich auch ein Motiv. Es ist das Vorgefecht eines tatsächlichen Taktikwechsels, wenn die Regierung vielleicht schon nach den Landtagswahlen dazu übergehen will, die Zügel strammer zu ziehen, und endlich die Lasten des Krisenmanagements auf die Massen der Bevölkerung insbesondere der Arbeitslosen, der Frauen und der Jugend abzuwälzen.

Um auszutesten, wie weit die Regierung gehen kann, hat der Regierungssprössling Rösler schon einmal eine kleine Kopfpauschale verordnet und den Krankenkassen genehmigt, unterschiedslos jedem mindestens 8 Euro im Monat zusätzlich aufzuerlegen. Diese unsoziale Pauschale, bei der jemand mit 50.000 Euro im Monat genau soviel zuzuzahlen hat wie der Arbeiter mit 1.400 Euro netto, der davon vier Mäuler in seiner Familie stopfen muss, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Rösler ist allerdings auch einer, der am meisten bei der Bevölkerung unten durch ist. So wird es allen Politikern gehen, die sich vorwagen und den Auftrag der Monopole in die Tat umsetzten wollen.

Westerwelles Hinweis auf die »spätrömische Dekadenz« ist gar nicht von der Hand zu weisen. Man muss sie nur auf den schreienden Widerspruch beziehen, dass in diesem Land eine Handvoll Supermillionäre und Milliardäre allein über offiziell 4,6 Billionen Vermögen verfügen, während zugleich ein Viertel der Arbeiter und Angestellten zu Niedriglohnbedingungen arbeiten muss und heute schon ein wachsender Teil von Kindern und Jugendlichen in Armut aufwachsen muss.

Auch sein panikartiger Hinweis auf den Linkstrend und um sich greifendes sozialistisches Gedankengut ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Die Offenheit der Menschen für eine andere, eine sozialistische Gesellschaft ist deutlich gewachsen. Gönnen wir Westerwelle seine Panik, aber fahren wir ihm über sein schnoddriges Maul, wenn er beginnt, über die Massen herzuziehen!

Liebe Freunde und Genossen,

die Vorstellungen darüber, wie die Krisenlasten auf die Masse der Bevölkerung abgeladen werden sollen, gehen noch auseinander. Zweifellos wird es zu einem verstärkten Arbeitsplatzabbau in den Betrieben und einer wachsenden Massenarbeitslosigkeit kommen. Die IGM sieht 650.000 Arbeitsplätze allein in der Metall- und Elektrobranche gefährdet. Hinzu kommen die anderen  Industriezweige, die für 2010 die Vernichtung von Arbeitsplätzen angekündigt haben. Ein Blick in die USA gibt uns einen Vorgeschmack auf das, was da noch kommen mag. Im Unterschied zu Deutschland haben die Monopole in den USA ohne Kurzarbeit gleich entlassen. Das US-Arbeitsministerium hat festgestellt, dass seit Ausbruch der Krise im Dezember 2007 8,4 Millionen Amerikaner ihren Job verloren haben – gut eine Million mehr, als das Ministerium selbst geschätzt hat. Das wird verbunden sein mit Lohnabbau, dem Abbau sozialer Errungenschaften usw. Im Zentrum wird aber die Infragestellung des gesamten Sozialwesens stehen.

In Gelsenkirchen diskutieren wir gerade den Haushaltsentwurf der Stadt. In 2009 wurden dort über 190 Mio. Euro Minus ausgewiesen. Damit dieses Minus überhaupt geschultert werden kann und um die kommunale Daseinsvorsorge überhaupt weiter bewältigen zu können, wurden die Kassenkredite, das sind praktisch Dispokredite der Stadt Gelsenkirchen, schnell um 150 auf 450 Mio. Euro erhöht. Aber damit ist das Problem nicht gelöst. Die Stadt wird in den nächsten Jahren ihr gesamtes Eigenkapital verlieren, das 2005 noch 1,2 Mrd. Euro betrug. Allein schon im jetzigen Tempo der voranschreitenden Verschuldung wird dieses Eigenkapital bis spätestens 2015 vollständig aufgebraucht und in Fremdkapital umgewandelt sein. Die Stadt wird dann sämtliche Gebäude, Straßen und öffentlichen Einrichtungen in das Eigentum von Banken und Finanzspekulanten übergeben haben.

Ohne Eigenkapital verliert die Stadt allerdings auch vollends jegliche  Entscheidungskompetenz. Es heißt immer so schön, der Staat kann nicht bankrott gehen! Von wegen! Wenn die Kommune kein Geld mehr hat, dann wird sie einfach dem nächsthöheren Staatsorgan oder einem Sparkommissar unterstellt. Wenn der Rat der Stadt anders lautende Beschlüsse fasst, sind diese nichtig. Der Düsseldorfer Regierungspräsident Büssow hat der Stadt Solingen offen damit gedroht, den Stadtrat aufzulösen, wenn er sich nicht an seine Haushaltsauflagen hält. Die kommunale Selbstverwaltung, die bisher schon von uns als Farce bezeichnet wird, ist damit vollends liquidiert. Die offene Krise der Kommunalen Selbstverwaltung hat vor allem die Auswirkungen, die gesamte bisherige Daseinsvorsorge für die Massen infrage zu stellen. Auch das Gesundheitswesen steht ständig unmittelbar vor der Zahlungsunfähigkeit. Wie viel Gesundheitsreformen haben wir in den letzten 20 Jahren schon erlebt? Das Ergebnis ist ebenfalls der Ausbruch einer offenen Strukturkrise im Gesundheitswesen.

Auch die Renten sind längst nicht mehr sicher! Mit der Riesterrente wurde beschlossen, dass die Bemessungsgrundlage für die Rente ab 2030 nur noch bei 40 Prozent liegen soll. Das bedeutet, dass ein Arbeiter, der etwa 1.500 Euro netto verdient, dann, wenn er mit 67 Jahren in den Ruhestand geht, nur noch 600 Euro Rente hat! Früher war die Bemessungsgrundlage bei 70 Prozent. Durch diese Rentenbeschlüsse werden die Arbeiter ökonomisch gezwungen, eine Zusatzversicherung abzuschließen. Diese Zusatzversicherung müssen sie aber auch aus ihren Löhnen und Gehältern bezahlen, die ihnen dann zum Leben fehlen. Der einzige Effekt sind sprudelnde Gewinne für die Versicherungsbranche. Diejenigen, die dieses Geld nicht haben, treiben direkt in eine Altersarmut.

Wir werden erleben, wie die Sozialsysteme in der nächsten Zeit grundsätzlich in Frage gestellt werden. Das bisher so genannte "Sozialsystem" hat dafür gesorgt, dass der sogenannte  Klassenfrieden seit Jahrzehnten relativ gut funktionierte. Man braucht kein Wahrsager zu sein, um unruhige Zeiten für diese kapitalistische Gesellschaft vorauszusagen. Natürlich wären rein rechnerisch diese Probleme lösbar, wenn man das gigantische Vermögen der Superreichen heranziehen würde. Man könnte zum Beispiel durch eine umsatzbezogene Sozialsteuer die gesamten Sozialversicherungen durch die Unternehmer finanzieren lassen. Man könnte durch Steuern und Abgaben die Massen entlasten usw. Aber das ist im Kapitalismus nur beschränkt möglich. Denn sein ganzer Zweck besteht ja in der unbeschränkten Profitmacherei für die Kapitalisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen,

wenn das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ also den Reichtum der wenigen Reichen beschleunigen soll, so geht das nach kapitalistischer Logik nur, wenn dadurch auch die Armut der Massen vertieft wird. Ganz offen forderte der Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel, daher schon Ende letzten Jahres von der Regierung einen Kurswechsel. „Die Regierung muss an die großen Positionen heran: beispielsweise an die Sozialsysteme ...“ Diesem Scharfmacher der Monopole reicht es also offensichtlich noch lange nicht, wie dramatisch sich die Armut jetzt schon entwickelt hat! Es ist eine empörende Vorstellung, worin die Herren Keitel, Westerwelle & Co. Hier immer noch „gewaltige Einsparpotenziale“ sehen!

Wir sehen überhaupt nicht ein, das heutzutage irgendeiner noch Armut, Altersarmut, soziales Elend oder gar den frühzeitigen Tod von 9,5 Millionen Kindern pro Jahr in den Entwicklungsländern als unabänderliches Schicksal darzustellen wagt! Mit einem lächerlichen Bruchteil der 20 Billionen Dollar, die die kapitalistischen Staaten in den letzten eineinhalb Jahren zur Sanierung der Krise ausgegeben haben, könnten alle diese Probleme finanziert werden!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Genossinnen und Genossen,

nicht minder barbarisch lässt der Weltkapitalismus in seiner gegenwärtigen Krise alle bisherigen Ziele zur Linderung der Klimakatastrophe fallen wie eine heiße Kartoffel! Dafür war die Weltklimakonferenz in Kopenhagen im Dezember letzten Jahres der vorläufige traurige Höhepunkt! Skrupellos wird wissentlich in Kauf genommen, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen durch die dramatischen Klimaveränderungen ihre Existenzgrundlage verlieren, Inselgruppen im Meer versinken und Millionen Menschen in die Flucht getrieben werden. Präsident Obama, der nicht zuletzt wegen seiner vermeintlich fortschrittlichen Umweltpolitik gewählt wurde, gab gestern ein feuriges Plädoyer für saubere, sichere Atomkraftwerke von sich – und sicherte der Atomlobby in den USA 54 Milliarden Dollar an Bürgschaften zu.

Der gegenseitige Konkurrenzkampf der Imperialisten wird verstärkt mit imperialistischem Ökologismus für die Wiederherstellung der Maximalprofite betrieben. Das ist ihnen wichtiger als das Überleben der Menschheit! Unter dem Schlagwort der „Brückentechnologie“ sollen Atomkraftwerke in Deutschland künftig bis zu 60 Jahre laufen! Die staatliche Unterstützung erneuerbarer Energien wird dagegen systematisch zurückgefahren. Der Ausbau der fossilen Energieträger wie in den Kohlekraftwerken wird verstärkt festgeschrieben. Das imperialistische Weltsystem ist absolut unfähig, die dringendsten Menschheitsprobleme zu lösen!

Erfreulicherweise hat das Scheitern in Kopenhagen zu einer deutlichen Belebung der weltweiten Umweltbewegung gegen die Profitgier der Monopole beigetragen. Der Gedanke einer internationalen aktiven Widerstandsfront gewinnt deutlich an Boden. Dafür setzt die MLPD ihre Kräfte seit Jahren ein! Rettet die Umwelt vor der Profitgier!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Genossinnen und Genossen,

der Feldzug der NATO gegen den so genannten „internationalen Terrorismus“ steckt sowohl im Irak wie auch in Afghanistan in einer tiefen Krise. Inzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass bei diesem Krieg die sogenannte „Befreiung vom Terrorismus“ nur der Vorwand war für den Zugriff auf die riesigen Erdölvorkommen und Energieverbindungen im Irak und in Afghanistan. Jetzt haben sie nur noch die Wahl, offen zu kapitulieren oder den Krieg zu verschärfen, um eine Entscheidung zu erzwingen.

Friedensnobelpreisträger Obama hat die Zahl der offiziell in Afghanistan eingesetzten US-Truppen seit seinem Amtsantritt glatt verdreifacht. Das deutsche Kontingent wurde von 4.500 auf inzwischen 5.350 Soldaten aufgestockt. Doch ohne und gegen den Willen der breiten Massen ist dieser Krieg nicht weiterzuführen – nicht in Afghanistan, nicht in den USA und nicht in Deutschland. 83 Prozent der Deutschen sind strikt gegen das imperialistische Kriegsabenteuer und 71% fordern den schnellstmöglichen Abzug der deutschen Truppen. Für diese Zwickmühle der Imperialisten ist wieder die Kriegsminister-Rhetorik à la zu Guttenberg gut. Der sagte, man müsse die „Zahl der Soldaten erhöhen, um sie abbauen zu können“. Was hier dialektisch anmutet, ist der blanke Unsinn. Genauso wenig könnte man sagen, damit es uns allen besser geht, sollte man unsere Löhne und Gehälter kürzen. Und damit die Arbeitslosigkeit sinke, sollte man möglichst viele Leute aus den Betrieben rausschmeißen. Nach dieser Logik könnte man auch sagen, damit diese Regierung endlich besser arbeitet, sollte man die Hälfte der Minister zum Teufel jagen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Genossinnen und Genossen,

der Druck auf die Massen an den verschiedensten Seiten potenziert sich derzeit – und damit aber auch, dass die Leute zunehmend in Widerspruch zu dem gesamten System kommen. Prompt schrillen die Alarmglocken und die Regierenden forcieren den Abbau bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten. Dazu gehören unter vielem anderem: die Verschärfung der Versammlungsgesetze in verschiedenen Bundesländern, die sich insbesondere gegen die Linkstrend richten. Die undemokratischen Schikanen bei den Wahlen, die sogar die erstmals ein gesetzte Beobachterkommission der OSZE teilweise einräumen musste. Die verschärfen Angriffe auf demokratische Rechte und politische Freiheiten in den Betrieben gegen kämpferische und und revolutionäre Kräfte.

Doch mit all diesen Maßnahmen stießen die Herrschenden auf für sie unerwartet hartnäckigen Widerstand. So gab es Massendemonstrationen unter Einbeziehung ganz neuer gesellschaftlicher Schichten wie gegen die geplante Online-Untersuchung. Der seit Jahren geplanten Einsatz der Bundeswehr im Inneren konnte bisher nicht durchgesetzt werden! Und nicht zuletzt hatte der fast siebzehnjährige hartnäckige Massenprotest in der Kyritzer Heide gegen den geplanten Bombenabwurfplatz schließlich Erfolg!

In diesen Kämpfen, in der direkten Konfrontation mit dem Staatsapparat wächst die Systemkritik und die Suche nach einer grundsätzlichen Alternative. So stellte Ende Dezember 2009 die Bertelsmann-Stiftung besorgt fest: „70 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen haben kaum noch Vertrauen in die Herrschenden aus Politik und Wirtschaft, sowie in die sogenannten sozialen Sicherungssysteme (…) ungefähr 20 Prozent der Befragten verlangt als Konsequenz einen 'Systemwechsel' und 25 Prozent der Befragten erklären, dass sie ihr Vertrauen in das 'System' grundsätzlich verloren haben. Sie glauben nicht, dass dieses Vertrauen zurück gewonnen werden kann.“

Liebe Freundinnen und Freunde!

Spürt ihr es auch? Es ändert sich etwas im politischen Klima. Die Verunsicherung, die Ohnmachtgefühle, die sich in dieser Weltwirtschafts- und Finanzkrise zuweilen wie Mehltau über das Klassenbewusstsein gelegt hatten – beginnt sich das nicht aufzulösen? Wie kommt es, dass sich nach dem bemerkenswerten Streik in Sindelfingen zeitweilig das politische Klima in der ganzen Region änderte? Wie kam es, dass Kapitalisten-Chef Hundt auf einmal den Mob entfesselt sah und meinte „Die Randale nach dem Spiel“ sei für ihn „ohnehin in hohem Maß besorgniserregend... Die Kritik hat sich ja gegen vieles gerichtet. Gegen die Scheißmillionäre, gegen Daimler, gegen die Regierung, ganz pauschal gegen die da oben.“ Wie kam es, dass demonstrierende Daimler-Arbeiter, auf den Vorschlag, zum Stuttgarter Landtag zu fahren, mit Sprechchören antworteten „Berlin, Berlin wir fahren nach Berlin!“ Wie kam es, dass die Fußballfans des VfB Stuttgart nach kurzen Unmutsäußerungen gegen den Trainer zur Sache kamen „Zetsche raus! Zetsche raus!“

Liebe Freundinnen und Freunde,

ausgehend vom Kern des Industrieproletariats beginnt sich auch unter den breiten Massen etwas zu verändern. Haben wir nicht an diesem Wochenende ein bemerkenswertes Ereignis des aktiven Volkswiderstandes in Dresden erlebt? Bereits in Köln gelang es im September 2008 durch eine Massenaktivität des aktiven Volkswiderstandes, den geplanten Nazi-Aufmarsch zu verhindern.

Doch Dresden hatte eine noch höhere Qualität: Erstens gelang es, den seit Jahren durchgeführten, quasi zentralen Nazi Aufmarsch auch entgegen massiver Polizeikräfte zu verhindern. Zweitens wurde im Vorfeld eine massive antikommunistische Hetzkampagne, die Faschisten und sogenannte „Linksextreme“ gleichsetzte, zurückgeschlagen und eine breiteste Aktionseinheit auf Augenhöhe erreicht.

Drittens war dieser Kampf mit einem entschiedenen Widerstand gegen ultrareaktionäre staatliche Repression verbunden. Da wurde doch glatt die Website der Aktionseinheit vom LKA stillgelegt, weil sie angeblich zu ungesetzlichen Maßnahmen, nämlich Blockaden aufrief. Der einzige Effekt: Das Plakat wurde über einen ausländischen Server verbreitet und die Repression bewirkte einen sprunghaft anwachsenden bundes-, ja europaweiten Zuspruch und Solidarität.

Viertens war die MLPD keine „engagierte Randerscheinung“, sondern unübersehbar, prägend und überall an den Blockaden mit offenem Mikrofon aktiv verantwortlich.

Fünftens war ein Motor der erfolgreichen Aktivitäten die unübersehbare Belebung der Rebellion der Jugend. Wir erlebten sie bei den aus der ganzen Republik, aus ganz Europa angereisten Jugendlichen mit einem revolutionären Anspruch bei den Lenin-Liebknecht-Luxemburg-Aktivitäten, in der Jugendbewegung zum Schutz der natürlichen Umwelt, in der als Bildungsproteste entstandenen Jugendbewegung, die massiver staatlicher Repression standhält und sich international verbindet.

In allen diesen Entwicklungen liegt das Potenzial einer praktischen Avantgarde im Klassenkampf – wenn die Jugendbewegung ihre kleinbürgerlichen Prägungen der Organisationsfeindlichkeit, des Antiautoritarismus, des Jugenddünkels oder der Theoriefeindlichkeit ablegt. In der MLPD erkämpfen wir uns gerade die Verantwortung für diese strategisch bedeutsame Entwicklung mit einer zunehmend erfolgreichen Kritik-Selbstkritik-Kampagne in unserer Jugendarbeit.

Liebe Genossinnen und Genossen,

liebe Freundinnen und Freunde,

klar ist nicht jeden Tag Daimler-Streik oder Jugendrebellion! Und nicht überall ist Dresden wie am letzten Samstag. Die allgemeine Stimmungslage hat sich noch nicht verändert. Aber draußen schneit es ja auch noch jeden Tag! Es ist kalt, oft sogar eisig. Und doch, keine Frage – der Frühling kommt!

Mehr und mehr bricht sich die Erfahrung der Leute Bahn: Dieser Kapitalismus existiert doch nur noch in seiner allgemeinen Krisenhaftigkeit! Seine Blöße kann er zeitweilig schamhaft mit einem mehr oder weniger welken Feigenblatt verdecken, das sich dann schon wieder in Staub auflöst. Angesichts dieses trüben Anblicks regt sich der Widerspruchsgeist, wachsen die Ansprüche, erblühen neue Visionen. Denn zugleich spüren die Leute, es könnte alles auch ganz anders funktionieren.

Wir brauchen Mut für unsere gesellschaftliche Vision! Wir müssen und können gerade in der jetzigen Situation mehr tun und mehr erreichen, dass die breiten Massen über diese Vision des echten Sozialismus diskutieren, dass sie sich ein Bild, ja Vertrauen in den Sozialismus verschaffen und sich in diesem Prozess mehr und mehr uns und damit auch ihrer eigenen Zukunft zuwenden.

Liebe Freundinnen und Freunde,

mit Hilfe der modernen Massenmedien und des bürgerlichen Parlamentarismus ist es den Herrschenden bekanntlich erst einmal gelungen, den allgemeinen Linkstrend in Deutschland auf die Mühlen der Linkspartei umzuleiten. Im Zuge ihrer Wahlerfolge hat die Linkspartei im letzten Jahr zweifellos zehntausende Sitze in parlamentarischen Funktionen, Gremien oder Aufsichtsräten erhalten und ist reichlich mit Geldern aus diesen Funktionen gesegnet. Und? Ist damit wirklich viel gewonnen? Innerparteiliche Geschlossenheit, Zielklarheit oder gar gesellschaftliche Visionen kann man sich offenkundig damit nicht kaufen.

Wir sind nicht schadenfroh über das vielfach zu beobachtende unsachliche Gezerre bei der Linkspartei. Dieses hat auf die Massen eher eine abstoßende Wirkung, die sich leicht gegen den Linkstrend insgesamt richten kann. Man sollte sich aber nicht täuschen lassen, den desaströsen Eindruck erwecken die Medien immer dann über die Linkspartei, wenn sie nicht spurt und sich nicht als Anhängsel der SPD einbinden lässt. Immerhin ist es bemerkenswert, dass die kämpferischen Kräfte in der Linkspartei ein entschiedenes Festhalten an wichtigen Forderungen – die nebenbei bemerkt die MLPD seit Jahren vertritt – durchgesetzt haben. Das gilt für das politische Streikrecht, das Verbot aller faschistischen Organisationen, die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, „Weg mit Hartz IV“ und „Raus aus Afghanistan“. In der Auseinandersetzung um das Wahlprogramm zu den Landtagswahlen in NRW hat die Linkspartei in wichtigen Fragen Flagge gezeigt und sich im wesentlichen nicht durch eine Hetzkampagne der Medien und der bürgerlichen Politiker beirren lassen.

Wir von der MLPD werden nicht zu diesen Landtagswahlen kandidieren. Wenn die Linkspartei an fortschrittlichen Positionen festhält, sich nicht für die fragwürdige Option einiger Ministerposten auf Regierungsfähigkeit trimmen oder von Antikommunismus einwickeln lässt, dann käme für uns durchaus die Diskussion mit der Linkspartei über eine kritische Wahlunterstützung zu den Landtagswahlen in NRW in Frage.

Liebe Freundinnen und Freunde,

bei einer solchen Option, bei aller Bereitschaft, auf der Grundlage des Kampfes zusammen zu arbeiten, ist uns natürlich eines klar, selbst wenn alle diese fortschrittlichen Forderungen mit Haut und Haaren samt und sonders hart erkämpft und durchgesetzt würden: Der Imperialismus wäre immer noch Imperialismus! Es kommt darauf an, den Kampf um diese Forderungen als Schule des Klassenkampfs, als Schule des Kampfs um die Denkweise der Massen, als Schule des Parteiaufbaus, als Schule des Aufbaus kämpferischer Selbstorganisationen – kurzum, als Schule des Kampfs für eine neue Gesellschaft zu führen! Die Linkspartei wird weder in der Lage noch willens sein, an der Spitze dieses notwendigen gesellschaftsverändernden, revolutionären Kampfes zu stehen. Das ist das Terrain und die Aufgabe der revolutionären Linken mit der MLPD als führender Kraft, die es unter allen Umständen zu stärken und zu entwickeln gilt.

Der revolutionäre Geist, die revolutionäre Linke hat im übrigen im Ruhrgebiet tiefe Wurzeln. Ab kommenden März werden wir gemeinsam mit der Bergarbeiterinitiative „Kumpel für AUF“ dafür sorgen, dass die teilweise etwas abgedrehten, elitären Aktivitäten zur Kulturhauptstadt 2010 revolutionär bereichert werden.

Vor 90 Jahren versuchten die Generäle Kapp und Lüttwitz, eine faschistische Diktatur zu errichten. Sie putschten gegen den Reichspräsidenten Ebert und hoben alle revolutionären  Errungenschaften der Novemberrevolution auf. Ein nationaler Generalstreik war sicherlich ein wichtiges Signal gegen diese faschistischen Putschisten. Die entscheidende Kraft war aber die Bildung der Roten-Ruhr-Armee, die auf der Grundlage einer antifaschistischen Einheitsfront von Sozialdemokraten und Kommunisten mit Zehntausenden von bewaffneten Bergleuten das Ruhrgebiet besetzten. Schon nach wenigen Tagen traten die Putschisten um Kapp und Lüttwitz wieder ab. Friedrich Ebert allerdings verbündete sich mit den reaktionären Freikorps und ließ die Rote-Ruhr-Armee brutal entwaffnen. Tausende von Bergleuten und Kumpel verloren bei diesen bewaffneten Kämpfen ihr Leben, obwohl sie es waren, die sich den Putschisten entscheidend entgegen geworfen hatten.

Es ist uns eine Ehre und Verpflichtung, in diesem Jahr 2010, wo die Kulturhauptstadt 2010 gefeiert wird, in einer besonderen Art und Weise dieser revolutionären Tradition der Bergarbeiterbewegung im Ruhrgebiet zu gedenken. War es doch das Beispiel, wie man mit Faschisten am besten fertig wird. Wäre die Lehre von 1920 auch 1933 angewendet worden, hätte nie einen Hitler-Faschismus gegeben!

Liebe Genossinnen und Genossen,

liebe Freundinnen und Freunde,

etwa 70 revolutionäre Parteien und Organisationen aus über fünfzig Ländern der Erde bereiten derzeit mit uns gemeinsam die Gründung einer neuen internationalistischen Organisationsform der praktischen Zusammenarbeit in Parteiaufbau und Klassenkampf vor. Es ist das starke Band der revolutionären Richtung im weltweiten Linkstrend, das uns eint: Für den echten Sozialismus auf der ganzen Welt! Für die internationale proletarische Revolution! Für die vereinigten sozialistischen Staaten der Welt!

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich weiß nicht, in welch trüben Gewässern Oliver Wittke bei seinem politischen Aschermittwoch fischte. Und ich mag mir kaum vorstellen, welche Visionen in der Taubenstraße entwickelt wurden. Eines aber weiß ich sicher: Unsere Zukunftsperspektiven sind glänzend, auch wenn die Zeiten zweifellos härter werden! Hoch die internationale Solidarität! Proletarier aller Länder, vereinigt euch!