Um jede Stimme kämpfen
Einleitungsbeitrag zur Wählerinitiative München am 2. September von Klaus Dumberger
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde und Kollegen,
1. Der Bundestagswahlkampf hat begonnen. In Hamburg sagte Stefan Engel in seiner Rede treffend: „Der Ausgangspunkt für die bürgerlichen Parteien ist unter der Bedingung der tiefsten Weltwirtschaft- und Finanzkrise, die der Kapitalismus je erlebt hat, denkbar schwer. Immerhin wurden durch diese Krise das ganze internationale Produktions-, Verteilungs- und Finanzsystemdurcheinander gewirbelt und dabei weltweit Kapital im Wert von bisher über 55 Billionen US-Dollar vernichtet. Das ist erheblich mehr als das Weltsozialprodukt von 2008!
Zur Verwirrung und Beruhigung der Massen inszenierten die Herrschenden – pünktlich zum Wahlkampfauftakt die zweckoptimistische Jubelarie vom »Ende der Rezession«. Dabei nehmen sie den unsinnigen Vergleich des Bruttoinlandsprodukts mit dem Vorquartal, wonach es um gigantische 0,3 Prozent gestiegen ist. Tatsächlich fällt die weltweite industrielle Produktion tendenziell weiter zurück, wenn sich auch der Abwärtstrend etwas verlangsamt hat. Der Produktionsrückgang in Deutschland liegt im Juni bei 19,6 Prozent im Vergleich zu 2008. USA – 13,6 Prozent, Japan - 24,4 Prozent. Der Auftragsrückgang in Deutschland von über 30 Prozent im ersten Halbjahr, dabei 48 Prozent im Maschinenbau wird sich erst im Verlauf des Jahres weiter auswirken. Die Kurzarbeit wird mehr und mehr Entlassungen und dem offenen Abbau von Arbeitsplätzen, Betriebsstilllegungen, Insolvenzen usw. weichen.
Dazu Stefan Engel in seiner Rede zum Wahlkampfauftakt in Hamburg:
„Was wäre das auch für ein Wahlkampf geworden, wenn die bürgerlichen Parteien den Wählerinnen und Wählern offen erklären sollten, warum die Wirtschaft dieses “besten aller Gesellschaftssysteme“ so kläglich zusammengebrochen ist? (...) Selbst alle Wirtschaftswissenschaftler und auch die Bundesregierung sind inzwischen zu der Einschätzung gekommen, dass es noch mindestens bis Mitte 2013 dauern wird, um den Vorkrisenstand in der Wirtschaft und in der Industrieproduktion zu erreichen.“
Im Einzelhandel und Autozulieferbereich nehmen Insolvenzen und Firmenschließungen zu. Gegenüber dem ersten Halbjahr 2008 stiegen laut der Leiterin des Insolvenzgerichts am Amtsgericht München die Insolvenzen in Bayern um 37,85% an. Die Zahl der Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hat sich mit 8.968 sogar mehr als verdoppelt.
Ohne voreilige Einschätzung werden wir den konkreten Verlauf der Krise weiter analysieren, wobei jetzt schon klar ist, dass nach der Krisenphase, die irgendwann zu Ende gehen wird, keine Belebung oder Aufschwung kommen wird, sondern zunächst eine Phase der Depression, mit einschneidenden Wirkungen auf die Lebenslage der Massen. Besonders betroffen ist davon auch heute bereits die Jugend. Sie steigt drei bis viermal so schnell wie die allgemeine Arbeitslosigkeit, weil viele entlassene Leiharbeiter Jugendliche sind und viele Auslerner nicht übernommen wurden.
Für unsere Offensive für den echten Sozialismus ist entscheidend, überzeugend auf den Kampf um die Denkweise der Massen Einfluss zu nehmen, insbesondere unter den Industriearbeitern. In den Betrieben rumort es gegen verschärfte Antreiberei, Lohnkürzungen und Arbeitsplatzvernichtung, ohne dass es bereits zu Massenkämpfen kommt.
Der begonnene Stimmungsumschwung äußert sich auch in einer wachsenden Kritik an der Klassenzusammenarbeitspolitik in Verbindung mit kämpferischen Initiativen wie bei Opel in Bochum. Dort traute sich die Betriebsratsspitze aufgrund der Stimmung unter den Arbeitern nicht, das Abkommen zum Verzicht auf das halbe Urlaubsgeld zu unterzeichnen.
Die Entfaltung der Kämpfe in der Krise erfordert ein höheres Klassenbewusstsein. Deshalb sind Versuche, auf spontane Kämpfe zu hoffen oder Kämpfe anheizen zu wollen, untauglich und ein Einfluss des Opportunismus. Erfolge sind vor allem dort möglich, wo wir mit unserer marxistisch-leninistischen Krisentheorie gegen Reformismus und Revisionismus polarisieren, dass die Arbeiter keinerlei Anlass zur Rücksichtnahme in den Kapitalismus haben und selbstbewusst ihre Klasseninteressen wahrnehmen müssen, was die Auseinandersetzung mit der positiven gesellschaftlichen Alternative Sozialismus zwingend einschließt.
In der Auseinandersetzung mit den Massen ist momentan nicht mehr der Antikommunismus das primäre Problem, sondern die Politikverdrossenheit, Negativismus und Defätismus. Gleichzeitig ist die Aufgeschlossenheit unter den Massen für den Sozialismus so groß wie noch nie. Es kommt also im Wahlkampf der MLPD jetzt entscheidend darauf an, sich weder von der negativen Stimmung noch dem Beschwichtigungstheater anstecken zu lassen und »Kante zu zeigen« - das heißt die weltanschauliche Offensive für den Sozialismus überzeugend zu entfalten und die Arbeiter und die breiten Massen für die aktive Teilnahme am Kampf um eine wirkliche Veränderung der Gesellschaft zu gewinnen. Der Aufbau der Wahlhelferbewegung und die Gewinnung von vielen Wahlhelfern ist das zur Zeit wesentliche organisierende Element!
Liebe Genossinnen und Genossen, Freunde und Kollegen,
heute bereits können wir eine erste positive Zwischenbilanz unseres Wahlkampfs ziehen.
Der bundesweite Auftakt der MLPD in Hamburg war mit Kundgebung, Demonstration und internationalem Kulturfest ein vollauf gelungener Startschuss, der die Überzeugungskraft, den Zusammenhalt und die Ausstrahlung der Partei stärkte. Insbesondere die beiden Reden von Stefan bestachen durch Angriffsfreude und reichhaltiger Dialektik und forderten den Kampf um die Denkweise heraus. Die Rede und das Interview in der Rote Fahne sind aktuell unsere wichtigsten Grundlagen. Stefan nannte den Wahlkampf einen Klassenkampf der besonderen Art, mit drei wesentlichen Zielen:
„das politische Bewusstsein der Menschen zu erhöhen,
die Kampfkraft der Massen zu wecken
und vor allem die revolutionäre Arbeiterpartei, den Jugendverband REBELL, sowie die kämpferische Opposition zu stärken.“
Das ist unsere Leitlinie für die kommenden Wochen! Aus München waren wir mit 10 Leuten in Hamburg. Haupthindernis für noch mehr Teilnehmer war die Finanzierung. Hätten wir die Regelung mit der Fahrtkostenspende schon eine Woche früher entwickelt, wären mehr Leute mitgekommen. Dies zeigt, dass wir die konkreten Probleme manchmal nicht richtig beachten.
Die Plakatierung ist in München relativ abgeschlossen. Das sind etwa 750 Plakate. Es stehen in München-Nord noch die 100 Kandidatenplakate an. Es sind auch plakatiert: Dachau, Karlsfeld, Rosenheim, Deggendorf, Dingolfing und Landshut. Freising und Erding werden diese Woche noch gemacht. Das ist eine hervorragende Initiative!
Mit der Plakatierung von ca. 3.500 Plakaten in 43 Städten, darunter mit Ausnahme von Straubing und Bayreuth alle Städte in Bayern mit mehr als 40.000 Einwohnern, leisten die Genossen mit Hilfe einer wachsenden Zahl von Freunden sehr gute Arbeit. Dies sind auch 4 Städte mehr als ursprünglich für Bayern geplant.
In München und Umgebung wurden – jetzt haltet euch fest – bereits etwa 23.000 Wahlzeitungen verteilt, also 2/3 der gesamten Menge. In den beiden letzten Wochen fanden neben vielen einzelnen Aktivitäten kleinere und größere Steckeinsätze in den Wohngebieten statt, u.a. in Giesing und Milbertshofen sowie in Neuperlach mit Fahrradkorso. Der unangefochtene Spitzenreiter ist Uli, der fast jeden Tag Vororte und Umlandgemeinden Münchens besucht, um jeweils mindestens 200 Wahlzeitungen zu stecken. Er geht jetzt auf die 4.000 Zeitungen zu.
Auch an Betrieben gab es Einsätze, so bei BMW München. Es war aber stellenweise gar nicht so einfach, die Zeitungen an den Mann, bzw. die Frau zu bringen. Viele Kollegen winkten ab oder meinten, das bringt eh’ nichts. Es gibt eine weit verbreitete Politikverdrossenheit, die natürlich auch wir abbekommen. Umso wichtiger ist es, uns unmittelbar und klar von der bürgerlichen Politik abzugrenzen. Wir sind die Rebellen in der Politik! Unser Wahlkampf ist in gewisser Weise auch Antiwahlkampf! Wir freuen uns über jede Stimme, aber noch wichtiger ist es, die Menschen für die revolutionäre Richtung zu begeistern, für die organisierte Zusammenarbeit, für die Mitarbeit in der MLPD, dem Jugendverband Rebell und kämpferischen Selbstorganisationen.
Es gilt deswegen besonders, die organisierende Seite (Mitmachliste, Probe-Abos usw.) nicht zu verdrängen. Angesichts der Mengen an Material für die Offensive tritt sonst vielleicht eine Tendenz zur Materialschlacht auf. Sucht das Gespräch, die Diskussion. Machen wir viele Info-Stände und Besuche, organisieren wir Massendiskussionen wie bei der Montagsdemonstration. Und wenn Leute auf die Mitarbeit angesprochen werden, gibt es oft die erstaunlichsten Entwicklungen! So haben sich in Memmingen mittlerweile 10 Jugendliche am Plakatieren und Wahlzeitungsverteilen beteiligt, obwohl 1/3 von ihnen bei der Linkspartei organisiert ist.
Mit dem migrantenpolitischen Material, das in Kürze durch eine gemeinsame Erklärung von MLPD und türkisch-kurdischen Organisationen ergänzt wird, konnten bereits einige offene Türen bei Vereinen, Freunden und Kollegen gelandet werden. Diese Zusammenarbeit mit AGIF, ATIF, BIR-KAR usw. bedeutet eine wichtige neue Qualität.
Liebe Freunde und Genossen,
unsere Offensive erfordert eine besondere Kräfteanspannung, da ist jeden Tag etwas los! In Hamburg stellte der Parteivorsitzende Stefan Engel aber die interessante Frage, warum wir uns diesen Wahlkampf überhaupt antun, wenn wir ohnehin kaum eine Chance haben, in den Bundestag zu kommen.
Er sagte:
Gleichwohl kämpfen wir um jede Stimme bei diesen Wahlen. Das mag manchem zunächst als Widerspruch erscheinen. Der Kampf um jede Stimme ist aber das entscheidende. Dieser Kampf zielt auf die Veränderung der Menschen, schafft Bewusstsein und Selbstbewusstsein.
Damit führen und erlernen wir einen Kampf um die Denkweise, der letztlich darauf abzielt, die entscheidende Mehrheit der Arbeiterklasse für den Sozialismus zu gewinnen und die breiten Massen in den Kampf gegen die Regierung einzubeziehen.
Wer diese Dialektik nicht versteht, wird schnell vom bürgerlichen Parlamentarismus beeinflusst. Er bemisst die Aktivitäten der MLPD einseitig am Wahlergebnis. Auf dieses haben wir aber aufgrund der gegebenen Verhältnisse mit einem ganzen System der Wahlmanipulation ohnehin nur bedingt Einfluss.“ (Rote Fahne 35/2009, S.4/5)
Wahlen sind immer eine Phase, wo das politische Bewusstsein und Interesse der Massen steigt. Aber das geht auch einher mit einem verstärkten Aufkommen der parlamentarischen Denkweise. Wird dagegen der Kampf um die Denkweise verdrängt, kann auch Enttäuschung aufkommen.
Wir müssen uns deshalb offensiv und stärker mit der kleinbürgerlich-parlamentarischen Denkweise auseinandersetzen, wie sie insbesondere der Reformismus jetzt verbreitet. So orientieren sowohl die rechte Gewerkschaftsführung, als auch SPD und Linkspartei massiv auf „Schwarz-Gelb verhindern“, was v.a. die Arbeiter in den Fängen des Reformismus halten, bzw. zurücktreiben soll.
Wir können auch feststellen, dass der Linkstrend in Deutschland seinen Zenit überschritten hat. Die Linkspartei plakatiert „Hartz IV abwählen!“. Wollen sie uns tatsächlich weis machen, mit der Linkspartei im Bundestag könne man dieses verhasste Gesetz abwählen? Warum hat es dann der rot-rote Senat in Berlin nicht abgeschafft? Warum macht es die Linkspartei in Berlin nicht zur entscheidenden Frage in dieser Koalition? Die Antwort liegt auf der Hand: weil der Linkspartei-Führung offenbar das Mitregieren im Kapitalismus wichtiger ist als der Kampf der Leute gegen Hartz IV, Unterdrückung und Ausbeutung.
Sehr interessant und auf den ersten Blick widersprüchlich ist der Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und dem Saarland sowie der Kommunalwahlen in NRW. Die CDU verlor teilweise erdrutschartig, auch die SPD sackte insgesamt noch einmal ab, gewann aber einige Oberbürgermeistersitze in Großstädten von NRW. FDP und Grüne gewannen. Die Linkspartei konnte im Saarland dank „Oskar-Faktor“ gewaltig zulegen, verfehlte aber in NRW deutlich ihr Ziel. Die Wahlbeteiligung stieg in einigen Ländern an, in NRW fiel sie ab. Die Kommunalwahlbündnisse, an denen MLPD-Mitglieder mitarbeiten, haben teilweise erheblich an Stimmen und Sitzen verloren. Es ist sehr viel Bewegung unter den Massen in diesem Wahlkampf und Personen spielen eine sehr wichtige Rolle. Weil die spontane Aktivität der Massen zurückging, schlägt sich das auch dämpfend bei der Wahl von überparteilichen, kämpferischen Bündnissen nieder. Im Linkstrend kämpfen parlamentarische und revolutionäre Denkweise heftig miteinander. Aber und das wollen wir breit diskutieren: Parteigruppen und Personenwahlbündnisse berichten auch, dass die Mitgliedergewinnung gerade jetzt hervorragend ist.
Die Wahl selber ist nicht das Entscheidende in diesem Land. Sie findet statt unter den Bedingungen eines staatsmonopolistischen Kapitalismus. Wir bekommen genau 4 x 90 Sekunden Sendezeit im Fernsehen für unsere Wahlspots. Das nennt sich „abgestufte Chancengleichheit“ in dieser Superdemokratie! Es liegt also nicht allein in unserer Hand, wie dieser Wahlkampf ausgeht.
Liebe Freunde und Genossen,
wie ihr sicher schon festgestellt habt, hat der Jugendverband Rebell den Kampf aufgenommen, den Jugendverband auf die Offensive für den echten Sozialismus auszurichten. Mittlerweile gibt es 18 eigene Aufkleber und einen peppigen, vierfarbig, glänzenden Jungwählerflyer, der Rebell hat eine umfassendere Internetarbeit konzipiert und will die „Durchblick“-Broschüre mit dem Vortrag von Stefan Engel auf dem Pfingstjugendtreffen breit vertreiben. Es gibt eine „Election-Party“ am 12.9. in Fürth, wozu der gesamte Rebell seine Freunde mobilisiert.
Weitere wichtige Punkte für heute sind die Vorbereitung der Aktivitäten am 5.9. in Nürnberg, das Plakatieren des Personenwahlplakats im Münchner Norden und die Vorbereitung der Münchner Veranstaltung am 19.9. Bei all den Aktivitäten dürfen wir aber die gemeinsame Freizeit und Kultur nicht vergessen. Zurecht beschwerte sich B., dass sie die einzige war, die am letzten Sonntag nach Karlsfeld gefahren ist, nur wenige haben abgesagt. Immerhin war das eine Freizeit der Wählerinitiative.
Auf dem offenen Vorstandstreffen letzten Donnerstag haben wir auch beraten, dass wir noch vor der Wahl, z.B. am Donnerstag den 24.9. ein Treffen der Wählerinitative machen.