Bildungspolitik in Hamburg: Nebelkerzen des schwarz-grünen Senats Für ein kostenloses und einheitliches Schulsystem vom Kindergarten bis zur Hochschule!
Redebeitrag für die Wählerinitiative 21.05.09, Jürgen Bader, Hamburg
Vom 15.-19 Juni finden bundesweite Schülerproteste statt, die von MLPD und REBELL tatkräftig unterstützt werden. „Die Situation an Hamburgs Schulen und Hochschulen ist geprägt von zunehmendem Leistungsdruck, Bildungsgebühren und undemokratischen Strukturen. Wir sind nicht bereit, diese miserablen Zustände ohne Gegenwehr hinzunehmen und organisieren uns deshalb im Hamburger Bildungsstreikbündnis.“ erklärt Pia Erzigkeit, Schülerin und Mitorganisatorin des Schulstreiks im November 2008.
Der Hamburger Senat und insbesondere Christa Goetsch (GAL) erwecken den Anschein, dass sie mit der schwarz-grünen Regierung auf dem Weg zu einem einheitlichen Schulsystem seien, das die Schüler ohne Unterschied fördert.
Sie versucht mit einem institutionalisierten „Dialog“ mit der Schülerkammer, den regionalen Schulkonferenzen u. ä. den Widerstand gegen ihre Schulpolitik zu zersetzen. Das Zauberwort heißt Primarschule
Wer nicht im rosa Nebel der Versprechungen, Halbwahrheiten und Senatspropaganda untergehen will – der muss sich zunächst mit der Realität in Hamburg befassen:
Im Schuljahr 2006/2007 wurden in Hamburg 182 018 Schülerinnen und Schüler an den 751 öffentlichen und 92 privaten allgemeinbildenden Schulen unterrichtet. Gegen alle Zweckpropaganda: Hamburgs Schülerzahlen steigen weiter an
54 576 Schüler sind an Gymnasien, 33 375 an Gesamtschulen, an den Grundschulen sind es 53 353 Schülerinnen und Schüler, an Haupt- und Realschulen 19 486 und 7 361 an Sonderschulen. Fast 18 000 besuchen eine Privatschule in Hamburg
Es gibt derzeit 210 Grundschulen, 60 Gymnasien und über 50 Gesamtschulen.
Von einer kostenlosen Bildung kann nicht die Rede sein:
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Eltern bezahlen für den Kindergarten, Hort und die Vorschule
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Für Schulbücher und weitere Lernmittel kommen die Eltern zum großen Teil auf; in der 9. Klasse einer Gesamtschule sind dies ca. 80 bis 90.- € für Schulbücher, die am Schuljahresende wieder abgegeben werden müssen!
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Klassenfahrten, Schulveranstaltungen usw. müssen ebenso bezahlt werden wie ein Beitrag zur Essensverpflegung
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Die Studiengebühren wurden eingeführt – und jetzt in rückzahlbare Kredite umgewandelt.
Was das bedeutet kann man an den „Armutszahlen“ erkennen:
In Hamburg sind mit 16,8% so viele Menschen arm wie in keinem anderen Bundesland. Vor allem Familien mit mehr als zwei Kindern und Migranten sind betroffen.
Bei der Personengruppe unter 18 Jahren sind sogar 25% armutsgefährdet, in der Gruppe von 18 bis 25 Jahren sind es sogar 8,5%!
Während der Hamburger Senat mit dem Projekt Primarschule den „Großen Wurf“ vermitteln will, steht die Schul- und Bildungs- wie Ausbildungspolitik vor einem Scherbenhafen.
Es fehlen Hunderte von Lehrer, Ein-Euro-Jobs ersetzen Normalarbeitsverhältnisse u.a. bei den Hausmeistern und die Schulgebäude sind marode. In einer Senatsdrucksache aus der Schulbehörde wird der Sanierungsstau mit rund 3 Milliarden Euro beziffert. Das sind rund 30% des jährlichen Haushalts von Hamburg. Wenn nicht geschieht, erhöht sich das Schadensvolumen um jährlich 6 Prozent! Dazu kommt der Bedarf an Schulneu- und Ausbauten in Höhe von 1,2 Mrd. Euro
Der Hamburger Senat ist ein Vorreiter in Sachen Privatisierung der Bildung, um hier eine weitere Sphäre zu schaffen, wo Konzerne und Banken die Bildung zum Objekt ihrer Profitinteressen zu machen:
Hieß es noch vor den Senatswahlen, dass es keine „Privatisierung von Schulen“ geben wird – so ist dies alles Schnee von gestern
Es soll ein „Sondervermögen Schulbau“ gegründet werden, um die anstehenden Kosten in Milliardenhöhe „auszulagern“. So sollen 450 staatliche Schulen in den besitz des Sondervermögens übergehen – die Schulbehörde mietet die Schulen dann zurück!
Das Modell Hamburg-Süd dient als Pilotprojekt: die städtische Baugesellschaft GWG saniert 32 Schulen.
Auch die 1350 Schulhausmeister, Betriebsarbeiter, Reinigungskräfte usw. sollen von den Schulen zum „Sondervermögen“ versetzt werden.
Über all dies verliert das Senatsprojekt „Primarschule“ kein Wort!
Zeit, den eigentlichen Gehalt der Schulstrukturreform vom Standpunkt der Arbeiterklasse und der rebellierenden Jugend zu enthüllen: Von kostenloser Bildung ist erstmal gar nicht die Rede, wohl werden aber die teueren Privatschulen mit jetzt schon einem Anteil von 10 % der Schüler in Hamburg staatlich gesponsert
Die Primarschule beinhaltet, dass i.d.R. Kinder bis zur sechsten Klasse gemeinsam unterrichtet werden. Danach entscheidet die Schule über den Besuch des Gymnasiums (Abitur nach 12 Jahren) bzw. der Gesamtschule mit Realschul- und Hochschulabschluss (Abitur nach 13 Jahren). Die Gesamtschulen werden in sogenannte Stadtteilschulen umgewandelt, von denen nur ein Teil eine Oberstufe besitzen sollen.
„Länger gemeinsam lernen“ ist eine verlogene Parole der schwarz-grünen Regierung: Zwar wird die Grundschule mit der Primarschule auf 6 Jahre verlängert. Aber das gemeinsame Lernen im Klassenverband wird aufgelöst zugunsten jahrgangsübergreifender Lehrgänge, in die die Schüler über Berichtszeugnisse und Tests durch die Lehrer entsprechend dem Leistungsstand eingeteilt werden. Ein Schüler, der schon vor der Einschulung Grundbegriffe von Lesen und Schreiben gelernt hat, kann z. B. in der 4. Klasse schon in einem Kurs mit 6-Klässlern zusammen lernen. Laut Begründung des Gesetzentwurfs kann er seine 6-jährige Primarschulpflicht schon nach 5 Jahren absolviert haben, wenn ihm dies in allen Fächern gelingt (a.a.o s. 27 f) und in Gymnasialkurse einsteigen. Umgekehrt werden sogenannte lernschwache Schüler auch in der 3. Klasse noch im Kurs mit den Schulanfängern sitzen. Es handelt sich also um leistungshomogene Kurse, in denen nicht wie früher oft der Klassenkamerad dem Schlechteren hilft. Ein ideales Feld für Elitebildung, erst recht an Primarschulen, die mit Gymnasien kooperieren.
Die Senatorin prunkt zu Unrecht mit gesenkten Klassenobergrenzen von 25 Schülern. Denn: die Klassen sind keine Unterrichtsverbände mehr! Auch die Lehrgänge werden auf eine Obergrenze von 25 Schülern begrenzt. Nur: was wirklich interessiert: gibt es weiterhin Förderkurse in Kleingruppen, z. B. für Migrantenkinder mit Sprachproblemen?
Mit der Primarschule findet auch eine Aufsplittung der Schulen statt: von den rund 170 vorgeschlagenen Primarschulen sollen 128 an einem einzigen Standort, aber rund 40 weitere sollen an zwei oder mehreren Standorten organisiert werden.
Interessant ist, wie das Noch-GEW-Mitglied Christa Goetsch zu den Forderungen nach mehr Lehrern steht. Immerhin wurden seit 2001 850 Lehrerstellen vernichtet, nach GEW-Untersuchungen sogar weit mehr. Von Neueinstellungen, um wenigstens wieder auf den alten Stand zurück zu kommen, ist bei der neuen Schulministerin keine Rede mehr. Ihr ist sogar die Wiedereinführung der Altersermäßigung von 1-2 Stunden für ältere Lehrer zu viel: Die Einsparung von Landesbediensteten gerade in diesem Hauptbereich ist die stille Vorgabe jeder Schulpolitik im Sinne der Konzerne und Banken, die - erst recht in Zeiten der Krise - den Staatshaushalt plündern bis zum Staatsbankrott,
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Auch C. Goetsch hält am Lehrerarbeitszeitmodell fest, durch das den Lehrern Mehrarbeit zur Einsparung von Stellen aufgedrückt wurde. Das trug zum Abbau von an die 1000 Lehrerstellen auf jetzt noch 13676 Stellen bei
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Die Verkürzung der Zeit bis zum Abitur von 13 auf 12 Jahre spart an den Gymnasien die Lehrer einer ganzen Klassenstufe ein
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die Vereinfachung des dreigliedrigen Schulsystems durch das 2-Säulenmodell Stadtteilschule und Gymnasien ergibt neue Einsparungen durch „Synergieeffekte“, ein Begriff, den viele Arbeiter bei Fusionen als Belegschaftsabbau zu spüren bekamen
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Bis zu 4 Primarschulen sollen mit ihrem Kursangebot kooperieren – so können Kurse und Klassen auch wirklich bis zur Obergrenze aufgefüllt werden und – Lehrer eingespart werden
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Abschaffung des Sitzensbleibens, an sich ja sinnvoll – aber mit dem Ziel der Einsparung von Lehrern! Statt dessen jahrgangsübergreifendes Kurssystem in der Schule, das extreme Konkurrenz unter den Schülern und Elitenbildung fördert
Nicht zuletzt soll mit der aufgeblähten Diskussion um die Primarschule von der dramatischen Situation auf dem Lehrstellensektor abgelenkt werden:
Seit 1990 ist die Zahl der Lehrstellen in Hamburg um 19% zurückgegangen! Nach Untersuchungen des DGB- Hamburg gibt es im April 2009 gerade mal 6 300 Ausbildungsstellen. 2002 waren es noch 8 800 gemeldete Lehrstellen. Bei Airbus und der HHLA beträgt die Ausbildungsquote unter 3%.
Gegen die Zersetzung der berechtigten Rebellion der Kinder und Jugendlichen durch das bürgerliche Schulsystem und die Gesellschaft setzt die MLPD die Lebensschule der proletarischen Denkweise mittels ihres Jugendverbands REBELL.
Das bürgerliche Bildungssystem produziert so einen Überschuss an Jugendlichen mit schlechten oder ohne Schulabschlüssen, die von den gleichen Kapitalistenverbände als 'lernschwach und lernunwillig' beschimpft werden, die für die Vernichtung von Lehrstellen verantwortlich sind. Der tiefere Grund dafür ist die kapitalistische Produktionsweise, die einen Überschuss an Arbeitern als Dauererscheinung produziert, der mit Hartz IV ihr Leben fristen soll.
Von der Denkweise der lernschwachen und lernunwilligen Jugend müssen sich auch die Lehrer bei aller Plackerei frei machen, wenn sie sich auf die Seite der Jugend und der Zukunft der Gesellschaft stellen wollen. Viel wichtiger ist, die Faktoren in Schule und Gesellschaft aufzuspüren und anzugreifen, die den anfänglichen Lerneifer vieler Kinder in Lethargie und 0-Bockhaltung verkehren
Im Interesse der Zukunft der Jugend fordert die MLPD:
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ein kostenloses und wirklich einheitliches Schulsystem vom Kindergarten bis zur Hochschule! Wohnnahe Ganztagsschulen mit kostenloser Verpflegung! Für eine gründliche Schul- und Berufsausbildung!
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Kampf der Jugendarbeitslosigkeit auf Kosten der Profite! Für die Verpflichtung der Großindustrie zu einer Ausbildungsquote von 10 Prozent der Beschäftigten! Unbefristete Übernahme aller Lehrlinge entsprechend der Ausbildung! Für Erhalt und Erweiterung der Jugendarbeitsschutzbestimmungen!
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Ausbau kostenloser Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen für Kinder und Jugendliche! Förderung des Breitensports!
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Umfassende antifaschistische Aufklärung in Schulen und Massenmedien! Förderung von Kindern und Jugendlichen anderer Nationalität in Schule und Ausbildung sowie in Kindertagesstätten und Jugendeinrichtungen!
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Rechtliche, soziale und kulturelle Gleichstellung von Mädchen und Jungen in Ausbildung, Beruf und Alltagsleben!
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Kampf dem Militarismus!
Das muss mit dem Kampf um den echten Sozialismus verbunden sein, im dem es keine überflüssige Bevölkerung mehr gibt und keinen Jugendlichen und keine Fähigkeit, die wegen der Profitgier verkümmern und ungenutzt bleiben.
„Die MLPD setzt Vertrauen in die Jugend und organisiert mit ihrem Jugendverband REBELL die Rebellion für die Zukunftsinteressen der Jugend. Die Jugend ist die aktivste Kraft in der Gesellschaft und sucht am meisten nach einer gesellschaftlichen Perspektive.“ (MLPD-Programm S. 67)
C. Wer hier praktisch anpacken will, hilft mit
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bei der Gewinnung von Kindern und Jugendlichen für Rotfüchse und den REBELL und ihre Sommercamps. Dort werden auch noch Köche und Jugendbetreuer gebraucht
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bei der Mobilisierung zum Pfingstjugendtreffen und Durchführung des Treffpunkts Wasserkante dort. Hier brauchen wir noch Köche und Ausbilder der Kinder und Jugendlichen beim Herstellen günstiger Nudelgerichte
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bei der Unterstützung und dem wirksamen Auftreten auf den Schulstreikaktionen vom 15.-19.6.09
Ende unseres Vortrags – und wir freuen uns auf eine lebendige Diskussion